Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
geleitete sie an ihren Tisch, eine Nische im hinteren Teil des Lokals.
»Wir sind nur zu viert, würden Sie bitte ein Gedeck abräumen lassen?«, wies Meinhard an.
»Aber selbstverständlich, Herr Baron.« Während er den Damen beflissen die Stühle zurechtrückte, fragte er: »Darf ich den Herrschaften zum Aperitif ein Gläschen Champagner anbieten?«
»Ach, bringen Sie gleich eine ganze Flasche«, sagte Meinhard, »und die Weinkarte bitte.«
Ellart zuckte innerlich zusammen. War sein Freund übergeschnappt? Das Diener’s war eines der teuersten Lokale der Stadt.
Noch waren nicht alle Tische besetzt. Aber ununterbrochen kamen neue, elegant gekleidete Gäste herein, und bald war kein Platz mehr frei. Während Meinhard und Ellart die Bestellung aufgaben, (Ellart wurde fast übel, als er die Preise sah), flüsterten die beiden Mädchen hinter ihren geöffneten Fächern. Ihre Augen wanderten zwischen den Tischen hin und her, aber zu ihrer Erleichterung sahen sie keine engen Bekannten ihrer Eltern, die sie hätten verraten können. Das Licht war schummrig, und in kurzer Zeit durchzogen dichte Rauchschwaden den Raum, sodass kaum noch Gefahr bestand, in ihrer Nische entdeckt zu werden. Nach dem zweiten Glas Champagner verlor Amalie ihre Schüchternheit. Ihre Nervosität war wie weggeblasen. Sie lachte, kokettierte mit ihrem Fächer, und ihr zartes, engelhaftes Gesicht bekam eine rosige Farbe. Es dauerte nicht lange, da begann sie heftig mit Ellart zu flirten.
Das Essen war hervorragend. Zu jedem Gang gab es einen neuen schweren Wein, der seine Wirkung nicht verfehlte. Noch nie hatten die beiden Mädchen so viel Alkohol getrunken. Die vier wurden immer ausgelassener, und man ging zum Du über. Es war bereits nach elf, als Meinhard fragte: »Wann müssen wir die Damen denn zuhause abliefern?«
Christine und Amalie kicherten hinter ihren Fächern. »Ein kleines bisschen Zeit haben wir noch, wo uns unser Anstandswauwau so plötzlich abhandengekommen ist …«
»Wunderbar! Ich kenne da ein kleines Lokal, da kann man tanzen und noch einen Schlummertrunk nehmen.« Meinhard erbat die Rechnung. Ellart zückte seine Geldbörse, aber Meinhard winkte ab. »Lass man, das erledigen wir morgen.«
Während ihres Abendessens war das Wetter umgeschlagen. Ein eisiger Wind wirbelte dicke Schneeflocken durch die Luft. Der Droschkenplatz an der Ecke war leer. Einzelne Fahrzeuge fuhren vorbei, aber alle waren besetzt.
»Was machen wir denn jetzt?« Meinhard war ratlos.
»Es ist viel zu weit, um zu laufen. Wir holen uns ja den Tod.«
Ellart hatte seine Uniformjacke ausgezogen und der vor Kälte zitternden Amalie um die Schultern gelegt. »Meine Wohnung ist um die Ecke. Was haltet ihr davon, wenn wir schnell dorthin laufen und uns erst einmal aufwärmen. Dann werde ich eine Droschke suchen.«
Als Ellart die Haustüre aufschloss, zögerte Amalie kurz. Die frische Luft hatte sie ernüchtert. »Christine, sollten wir nicht doch nach Hause gehen? Mir ist nicht wohl dabei.«
»Ach, du siehst doch, keine Droschke weit und breit. Wir wärmen uns ein bisschen auf, dann gehen wir wieder.«
In der Wohnung waren die Kamine eingeheizt, es herrschte eine wohlige Wärme. »Das ist deine Wohnung?«, fragte Amalie erstaunt.
»Wenn ich ehrlich bin, gehört sie meinem Großonkel. Aber ich darf sie benutzen, wenn ich in Berlin bin.«
Meinhard hatte eine Flasche Cointreau geöffnet und vier Gläser damit gefüllt. »Danke, ich möchte nicht.« Amalie hob abwehrend die Hände. »Mir ist schon ganz schwindlig.« Sie drückte sich tief in die Sofakissen. »Und außerdem ist mir immer noch kalt.«
»Dann musst du erst recht etwas Cointreau trinken«, sagte Ellart. »Der wird dich wärmen.«
»Das stimmt.« Christine schüttelte sich. »Es schmeckt zwar scheußlich, aber es hilft.«
Widerwillig trank Amalie ihr Glas mit einem Schluck aus. Sie verzog ihr Gesicht. »Ekelhaft … wirklich!« Kurz darauf begann sich alles um sie zu drehen. Sie bemerkte nicht, dass Meinhard und Christine im Salon nebenan verschwunden waren, und als Ellart sie in sein Schlafzimmer trug, schwanden ihr die Sinne. Sie erwachte durch einen stechenden Schmerz. Ellart war in sie eingedrungen und bewegte sich auf ihr, keuchend und heftig stoßend. »Was tust du da? Ellart, nein! Bitte, Ellart, nicht!« Sie versuchte ihn wegzudrücken, aber in diesem Moment sank er mit einem Stöhnen zusammen.
»Ellart, wie konntest du das nur tun?« Amalie starrte ihn entsetzt an. Er rollte sich
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