Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
Eyersfeld, »wirklich köstlich! Abkommandiert zum Tanzen.« Aber sofort war er wieder bei seinem Lieblingsthema, der Politik. »Seit Bismarck Ministerpräsident ist, tanzen ja alle nach seiner Pfeife. Sogar der König soll ihn außerordentlich schätzen. Aber kann mir einer sagen, wieso er diese Sozis nicht in Schach halten kann?« Er putzte umständlich sein Monokel, wie immer, wenn ihn etwas aufregte. »Sieben Abgeordnete haben die Kerle nun bereits im Reichstag. Das ist doch einfach unbegreiflich!«
»Man wird den sozialen Fortschritt nicht aufhalten können«, Friedrich von Dühnkern zog bedächtig an seiner Zigarre. »Und wir alten Dackel schon gar nicht, die wir hier in der Provinz auf unseren Gütern sitzen und über miserable Ernten lamentieren.«
»Es ist die Zeit der Industrialisierung, meine Herren«, mischte sich jetzt Steuerrat Kollmann in die Diskussion ein. »Heutzutage verdient man sein Geld besser mir Aktien als mit Weizen und Kartoffeln.«
»Nee, nee, nicht mit mir«, rief Jesko. »Das haben wir schon vor Jahren von Herzberg gehört. Und dann ging alles den Bach runter.«
Baron Iffelsdorf, ein kleiner, beleibter Mann mit einem Zwicker auf seiner rot geäderten Nase, die von reichlich Burgunder zeugte, fragte leise: »Sag mal, Friedrich, wer ist denn das, der da eben so wichtig über Aktien redet?«
»Steuerrat Kollmann, soweit ich weiß, ein neuer Freund des Hauses.«
Der Baron sah aus, als hätte er Zahnschmerzen. »Soso, ein Steuerrat … nicht von Adel, nehme ich an. Na ja Geschmackssache, so ein Umgang.«
»Was echauffierst du dich, Iffelsdorf. Dein Dünkel erinnert mich stark an Fritz, lächerlich.« Verärgert goss sich Friedrich von Dühnkern noch einen Cognac ein. »Dich zwingt ja keiner, mit ihm zu verkehren. Ich persönlich habe Hochachtung vor Beamten. Die arbeiten wenigstens für ihr Geld, während wir uns mit unseren ererbten Titeln für was Besseres halten. Die geben von dem, was sie verdienen, vielleicht die Hälfte aus. Bei mir war das früher leider umgekehrt. Wenn ich tausend Mark verdient habe, gab ich zweitausend aus. Was zur Folge hatte, dass ich ständig knapp bei Kasse war.«
Ferdinand hatte derweil Ellart zur Seite genommen. »Sag mal, Junge, hast du etwa Schulden gemacht?«
»Na ja Onkel Ferdinand, Berlin ist unheimlich teuer, das weißt du doch.« Er blickte verlegen zu Boden. Ferdinand holte tief Luft.
»Wie viel!?«
Ellart wand sich, sollte er die Wahrheit sagen? »Zweitausend«, sagte er dann, was nicht ganz stimmte, ihm aber erst einmal etwas Luft verschaffen würde.
»Gut, ich werde sie dir geben. Aber kein Wort zu deinem Großvater.« Er sah seinen Großneffen ernst an. »Er hat im Moment genug Sorgen, das dürfte dir ja wohl nicht entgangen sein. Also reiß dich in Zukunft zusammen. Es ist das erste und letzte Mal, dass ich dir aus der Patsche helfe.«
»Ja, natürlich. Und danke, Onkel Ferdinand.«
Hanno und Carla Harvich waren angekommen, ohne Leopold und Natascha von Troyenfeld, was allgemein sehr bedauert wurde, war man doch so gespannt gewesen auf die schöne Russin. »Meine Schwägerin ist äußerst kapriziös, um es gelinde auszudrücken«, erklärte Carla achselzuckend. Doch ihr Gesichtsausdruck verriet, dass sie nicht viel von der Frau ihres Bruders hielt. Viele der Anwesenden hatten die Harvichs seit ihrer Rückkehr aus Rom noch nicht gesehen und bestürmten sie jetzt mit Fragen über ihre Zeit im Ausland, und bald waren Leopold und Natascha vergessen.
Das Barometer zeigte konstant schönes Wetter an. Mit fünf Grad minus war es nicht zu kalt, und so fand zwei Tage später die Hasenjagd statt. Mehrere Hundert Hasen waren geschossen worden, genug für die Jäger, Jagdgehilfen und die Kühlkammern des Schlosses.
Wenige Tage später fand anlässlich des Endes der Jagd und zu Silvester, ein Dîner Dansant statt. Der Speisesaal war festlich gedeckt, und die üppigen Blumengestecke aus den hauseigenen Treibhäusern verbreiteten einen betörenden Duft. Hunderte von Kerzen tauchten alle Räume in ein warmes Licht und ließen manche der Damen, natürlich alle in großer Toilette, schöner aussehen, als sie waren. Aglaia trug heute zum ersten Mal Clemens’ Perlen. Dazu passte perfekt das dunkelblaue, tief dekolletierte Pansamtkleid mit langen Ärmeln und eng geschnürter Taille. Ihre Haare waren zu einer kunstvollen Hochfrisur aufgetürmt, was die prachtvollen Perlen an ihrem schlanken Hals besonders zur Geltung brachte. Sie betrat als eine der
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