Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
alle erhoben ihre Gläser.
Zum Abschluss des Abends sang Aglaia von Ferdinand am Klavier begleitet zum ersten Mal wieder seit Eberhards Tod einige Lieder von Schumann. Elvira sagte nichts. Sie drückte nur glücklich Jeskos Hand. Sie wusste, Aglaia war dem Leben wiedergegeben.
Weihnachten war vorbei und Birkenau wenige Tage später voll mit fröhlichen Gästen zur Hasenjagd. Die Eyersfelds waren die Ersten. Kurz darauf erschienen Dühnkerns, die wie immer Louise von Golze mitbrachten, und schließlich fuhr auch schon ein Schlitten nach dem anderen vor. Nachdem das Dienstpersonal die Neuankömmlinge auf ihre Zimmer begleitet hatte, erschienen die Gäste bald darauf in den Salons, freudig begrüßt von ihren Gastgebern und den bereits anwesenden Gästen. In den endlosen ostpreußischen Wintern war jede Abwechslung willkommen.
Es war eine bunt gemischte Gesellschaft aus Jung und Alt. Manche hatten ihre Kinder dabei, wie die Lackners, und auch Hannchen Severin, die inzwischen längst verheiratet war. Einer der zahlreichen Räume des Schlosses war als Spielstube hergerichtet, wo die mitgebrachten Kindermädchen sich mit den Kleinen beschäftigten, damit ihre Eltern sich den gesellschaftlichen Vergnügungen widmen konnten. Clemens’ Anwesenheit war für viele eine große Überraschung. Trotz seiner jahrelangen Abwesenheit war er den meisten durch Aglaias regelmäßige Berichte in lebhafter Erinnerung geblieben.
Es war ein herrlicher Tag. Das junge Volk vergnügte sich im Park. Die Kleinen bauten Schneemänner und lieferten sich Schneeballschlachten, die Größeren liefen Schlittschuh auf dem seit Wochen zugefrorenen See. Die älteren Herrschaften saßen in Grüppchen verteilt in den Salons, spielten Whist, Rommé oder unterhielten sich. Vor dem Kamin hatten sich einige Damen niedergelassen. Ursula von Eyersfeld, inzwischen Anfang sechzig, beobachtete aus den Augenwinkeln Clemens, der sich angeregt mit Mathias Goelder unterhielt. »Was für ein Mannsbild, dieser Clemens«, sagte sie zu Philine von Dühnkern. »Der war ja schon früher ein Leckerbissen. Aber jetzt … mein Gott, man müsste noch mal jung sein. Als er mir die Hand küsste, wurde mir ganz heiß.«
»Das sah man, meine Liebe. Wie ein Hummer sahst du aus!«
»Ach wirklich?« Ursula zuckte mit den Schultern. »Ich hab wenigstens noch Gefühle …«
»Der mit den roten Haaren da drüben bei Clemens, ist das nicht der Goelder aus Aschruten?« Eine ältliche Cousine Elviras deutete mit ihrem Fächer hinüber zu den beiden Männern. »Bei dem sollen ja unzählige rothaarige Bastarde auf dem Hof herumspringen.«
»Ach ja«, seufzte die Kommerzienrätin Heller und warf ihrer noch immer kinderlosen Schwiegertochter Anneminchen einen vorwurfsvollen Blick zu. »Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.«
»Im Beischlaf wäre wohl treffender, Frau Heller«, sagte Anneliese Hartmann trocken.
»Ich muss doch sehr bitten, Frau Hartmann!« Der gewaltige Busen der Kommerzienrätin wogte vor Empörung, und ihre gichtigen Hände bewegten sich in ihrem Schoß, als bearbeiteten sie noch immer das ehemals unvermeidliche Strickzeug.
»Nu echauffieren Sie sich man nicht. Dem einen gibt’s der Herr eben, dem anderen nicht.« Ohne sich weiter um die nach Luft ringende Kommerzienrätin zu kümmern, wandte sich Anneliese Hartmann an Elvira. »Stimmt es, dass ihr die Harvichs mit Leopold und seiner russischen Frau erwartet?«
»Zugesagt haben sie jedenfalls. Aber ob sie kommen? Man sagt, die junge Frau sei sehr launisch und kapriziös.«
»Sie soll schön sein wie Aphrodite«, warf Philine ein. »Friedrich sah sie kürzlich in Königsberg. Er war ganz aus dem Häuschen.«
»Aphrodite … wer ist das, kenne ich sie?«, fragte Antonia von Saalfeld, wie Frau Heller bereits an die siebzig und leicht schwerhörig. »Ist sie von Familie? Was ist sie für eine geborene?«
»Was für eine geborene – das weiß ich nicht. Ich fürchte gar keine. Sie ist schon seit Ewigkeiten tot.«
»Ja was soll das denn! Warum erwähnst du sie dann überhaupt, Philine?«
Die rollte die Augen. »Ach Gottchen, Antonia. Sie gilt als Sinnbild der Schönheit … darum.«
»Sie war mit Verlaub gesagt ein Flittchen«, meldete sich jetzt Frau Professor Koch zu Wort, deren inzwischen pensionierter Gatte am Insterburger Gymnasium Altgriechisch gelehrt hatte. »Ich kann Ihnen sagen … mit wem die alles ein Verhältnis hatte!«
»Ersparen Sie uns bitte die Einzelheiten, Frau Koch.« Antonia fächerte sich
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