Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
… das ist einfach unerträglich für mich.«
»Was redest du denn da?« Aglaia sah ihre Cousine entsetzt an. »So etwas darfst du nicht einmal denken. Komm, lass uns eine Partie Bezique spielen, das bringt dich auf andere Gedanken.«
Eine Woche vor Weihnachten traf sich die Familie seit langer Zeit einmal wieder gemeinsam im Frühstückszimmer. Zu Tanyas Freude war ihr Onkel Horst gestern aus Berlin zurückgekommen. Blass und mit dunklen Augenringen saß sie in einen großen Schal eingewickelt vor ihrem Rührei, das langsam kalt wurde. An der heißen Tasse Tee versuchte sie ihre klammen Hände zu wärmen.
»Was ist mit dir, mein Kind?«, fragte ihr Onkel besorgt. »Du siehst mir gar nicht gut aus.«
»Ich sage ja auch immer, dass sie mehr essen muss«, mischte sich Aglaia ein, »aber sie hört einfach nicht auf mich. Gegen sie esse ich wie ein Scheunendrescher.«
Ihr Vater musste lachen. »Na, so siehst du mir aber auch nicht aus.«
»Du weißt doch, Aglaia, mir ist manchmal nicht gut«, sagte Tanya schüchtern und zu ihrem Onkel: »Mach dir keine Sorgen, ich freue mich wirklich ganz doll auf die Weihnachtsgans.«
Horst tätschelte ihr liebevoll die Wange. »Na, dann ist es ja gut«, sagte er freundlich und griff zu seiner Zeitung.
»Ach Papachen«, rief Aglaia aufgeregt, »ich habe – natürlich mit Mamas Erlaubnis – Onkel Jesko und Eberhard für Weihnachten eingeladen. Und Tante Elvira kommt auch.« Sie war ganz außer Atem. »Ich hoffe, es ist dir recht.«
»Natürlich ist es mir recht, mein Liebling.« Er blickte sie schmunzelnd über den Rand seiner Brille an. »Ist da vielleicht noch etwas, das ich wissen sollte?«
Aglaia errötete. »Nein, nein, Papachen …«
»Und was ist mit dem Herrn von Schlieren?«, wandte sich Wilhelmine jetzt an Tanya. »Du hast ihm doch sicher meine Einladung für Weihnachten übermittelt?«
Da war sie, die Frage, die Tanya seit Tagen fürchtete. Ihr Gesichtchen wurde noch eine Spur blasser. »Es tut mir leid, Tante Wilhelmine. Ich habe es ihm geschrieben, aber bis jetzt noch keine Antwort bekommen.« Sie sprang auf. »Entschuldigt mich bitte, mir ist gar nicht gut«, rief sie und rannte aus dem Zimmer. Einen Moment herrschte betretene Stille.
»Was hat sie denn?«, fragte Horst. »Ist was mit dem Schlieren?«
»Ach Papachen, ich mache mir auch Sorgen um Tanya. Sie hat seit einiger Zeit nichts von Egbert gehört. Das nimmt sie schrecklich mit.«
»Wahrscheinlich hat er sich anderweitig orientiert«, entfuhr es Wilhelmine spitz.
»Aber Mama!« Aglaia sah ihre Mutter vorwurfsvoll an. »Wie kannst du nur so etwas sagen?«
»Nun, und warum hören wir nichts von ihm?«
Aglaia zögerte. Sollte sie etwas von der heimlichen Verlobung sagen? Aber sie hatte Tanya fest versprochen, zu schweigen. »Ich weiß, er liebt sie!«, entschloss sie sich zu sagen. »Aber es scheint irgendwelche familiären Schwierigkeiten zu geben … Egbert hat da etwas angedeutet …«, sie begann zu stottern. »Sein Vater hat wohl hohe Spielschulden.« Sie sah schrecklich unglücklich aus. »Die arme Tanya tut mir so leid.«
»Ach«, stieß jetzt Wilhelmine hervor »nun ist mir alles klar. Der Herr von Schlieren braucht nun eine Frau mit einer hohen Mitgift.« Sie lächelte böse. »Aber damit kann Tanya wohl nicht dienen.«
Bis jetzt hatte Horst von Wallerstein schweigend zugehört. Nun schlug er wütend mit der Zeitung auf den Tisch. Auf seiner Stirn schwoll die berüchtigte Ader an. »Ich verbitte mir solche Reden, Wilhelmine«, sagte er. Erregt ging er auf und ab. Sein Blick fiel auf den Diener, der versuchte, sich am Buffet unsichtbar zu machen. »Bitte, Kurt, lass uns einen Moment allein, und schließ die Tür hinter dir.« Dann fuhr er fort. »Tanya bekommt die gleiche Mitgift wie Aglaia, ob es dir passt, Wilhelmine, oder nicht. Ich hätte ihr das längst sagen sollen. Ich dachte nur, das sei selbstverständlich, darum habe ich es nie erwähnt.«
»Oh Papachen, wie lieb von dir!« Aglaia fiel ihrem Vater um den Hals. »Darf ich es Tanya sagen?«
»Natürlich, mein Kind.« Er lächelte sie liebevoll an, und ohne seine Frau eines Blickes zu würdigen, schlug er die Tür hinter sich zu. Kurt konnte gerade noch zur Seite springen. Fast hatte der Graf ihn umgerannt. Mein Güte, was hatte er Helma nun alles zu berichten!
Kurt saß bei Helma in der Küche. »Mir durstet nach ’nem Schlubberchen Weißen«, sagte er. »Mir is man janz schubbrig.« Er hielt seine Hände über den warmen Herd.
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