Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
von Aglaia. Ihre kleinen Händchen zitterten, und die süßen Gesichtchen waren rot vor Aufregung. Tagelang hatte man ihnen eingeschärft, den Schleier so zu halten, dass er der Braut nicht vom Kopf fiel. Sie trugen rosa Tüllkleidchen mit bunten Kränzen aus frischen Blumen auf den blonden Locken und fühlten sich furchtbar erwachsen. Die Gäste erhoben sich, und vor dem Altar übergab Horst seine Tochter dem Bräutigam. Er hatte Tränen in den Augen. Sein geliebtes kleines Mädchen war nun erwachsen geworden. Die letzten Orgeltöne verklangen, und Pfarrer Küster begann mit der Trauung. Seine tiefe warme Stimme füllte nun die kleine Kirche. Er kannte Aglaia von Kindesbeinen an, hatte sie getauft und konfirmiert. Er sprach von Aglaias behüteter Jugend und dem neuen Lebensabschnitt, in den sie nun eintrat. »Du hast Eberhard gewählt, einen Mann, den du liebst. Das ist ein großes Glück. Aber seid euch gewiss, meine lieben Kinder, es gibt gute und schlechte Tage, die ihr miteinander teilen werdet. Der Herr wird euch begleiten, euch Trost geben in den Stunden des Unglücks und euch wieder ins Licht führen. Der Herr segne und behüte euch. Amen.«
Die Gemeinde hatte andächtig seinen Worten gelauscht, nur das leise Schluchzen Wilhelmines unterbrach ab und an die Stille, was Elvira veranlasste, Ursula von Eyersfeld zuzuflüstern: »Mein Gott, sie übertreibt ja man wieder mächtig.« Nun wurden die Ringe getauscht, und dann sangen alle gemeinsam:
So nimm denn meine Hände
und führe mich
bis an mein selig Ende
und ewiglich!
Ich mag allein nicht gehen,
nicht einen Schritt,
wo du wirst geh’n und stehen,
da nimm mich mit.
Begleitet von lauter Orgelmusik und dem Geläut der Glocken, trat das frischvermählte Paar aus der Kapelle. Die Menschen jubelten, riefen ihnen Glückwünsche zu und warfen Blumen vor ihnen auf den Weg. Aglaia und Eberhard winkten den Leuten zu und riefen immer wieder: »Danke, von ganzem Herzen, danke!«
Eberhard drückte Aglaias Arm. »Was denkst du, Liebste?«, flüsterte er. »Ach, Eberhard, ich bin so schrecklich glücklich! Und doch … aber du weißt es sicher.«
»Ich weiß, mein Liebes«, war alles, was er dazu sagen musste. Vor dem Eingang des Schlosses hatte sich die gesamte Dienerschaft versammelt. Kurt, als Erster Diener, hatte die Ehre, dem Brautpaar im Namen aller Glückwünsche auszusprechen. In seinem Knopfloch steckte eine rote Nelke, und sein freundliches Gesicht war vor Aufregung hochrot. Tagelang hatte er zusammen mit Gerda und der Mamsell an einer Rede gebastelt, sie immer wieder geübt, aber als er nun vor dem Brautpaar stand, waren mit einem Mal all die wohlgesetzten Worte vergessen. Der riesige Blumenstrauß in seiner Hand zitterte. Nach mehrmaligem Räuspern begann er: »Es is ja nu man nich gjanz einfach, die richt’gen Worte zu finden. Unser Komtesschen, was ich ja man schon kenne, seit se jeboren is, will uns nu verlassen. Daran müssen wir uns ja nu alle erst gjewöhnen. Aber das is ja man auch nich zu ändern.« Er holte tief Luft. »Wenn man nur die Hälfte von dem, wat wir ihr alle wünschen tun, in Erfüllung jeht, kann in der Ehe nuscht nix fehlen.«
Obwohl es bereits später Nachmittag war und die Hitze nachgelassen hatte, begann er heftig zu schwitzen. Mit einem riesigen, rotkarierten Taschentuch wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Bevor er weitersprechen konnte, trat Aglaia auf ihn zu, nahm ihm sehr zu seiner Erleichterung den Blumenstrauß ab und sagte: »Ich danke dir von Herzen für deine lieben Worte, Kurt«, und drückte seine Hand. »Aber so ganz weit weg bin ich ja nicht. Wallerstein ist ja wirklich nicht aus der Welt.« Sie lachte. »Ihr werdet also nicht die Möglichkeit haben, mich zu vergessen.«
Dann gingen sie und Eberhard an der aufgereihten Dienerschaft entlang, gaben jedem die Hand und bedankten sich für die guten Wünsche. Danach betraten sie, gefolgt von der Hochzeitsgesellschaft, die Halle des Schlosses, die mit Girlanden und riesigen Blumenarrangements geschmückt war. Die Lakaien standen schon bereit und trugen Silbertabletts mit funkelnden Kristallgläsern, gefüllt mit perlendem Champagner. Platten mit Kaviar- und Lachshäppchen wurden gereicht, waren in Windeseile leer und wurden durch neue ersetzt. Man war hungrig. Es ging ja schließlich auf den Abend zu. Endlich öffneten sich die Flügeltüren zum großen Speisesaal, und Kurt rief mit lauter Stimme: »Es ist angerichtet.«
Die lange Tafel war prachtvoll
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