Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
werde ich mich hüten, mich einzumischen.«
Angesteckt von Elviras Fröhlichkeit sagte Aglaia: »Danke, Tante Elvira, du hast mir eine große Last von der Seele genommen. Jetzt bin ich wieder ganz heiter.«
Der 10 . Mai, Aglaias Hochzeitstag, war ein herrlich warmer Frühsommertag. Die Sonne strahlte aus einem wolkenlosen blauen Himmel, und die Vögel zwitscherten aus voller Kehle. Die Hochzeit sollte auf Wallerstein stattfinden, in der Kapelle am See. Der Park war von einem Heer von Gärtnern in wochenlanger Arbeit aufs Schönste gestaltet worden. Beete von blühenden Tulpen und Narzissen säumten die weißen Kieswege, der Rasen glich einem samtenen grünen Teppich, und der weiß und lila blühende Flieder verströmte seinen süßen Duft. Einige der Hochzeitsgäste flanierten dort mit aufgespannten Sonnenschirmen umher oder ließen sich auf einer der Bänke im Schatten eines der frühlingsgrünen Bäume nieder. Man wartete auf den Beginn der Feierlichkeiten. Elvira und Ursula von Eyersfeld hatten sich mittlerweile sehr angefreundet und saßen nun beieinander im Pavillon am See.
»Wie geht es Aglaia?«, fragte Ursula. »Wie trägt sie die Abwesenheit von Tanya?« Sie wusste natürlich längst, was der Grund für deren ›Sanatoriumsaufenthalt‹ war. »Wer ist denn jetzt ihre zweite Brautjungfer?«
»Sie hat sich zu Wilhelmines Ärgernis nicht dazu durchringen können, Tanya durch eine andere Person zu ersetzen«, antwortete Elvira. »Hannchen Severin ist die Einzige, und Eberhard hat also auch nur einen ›Best man‹.« Sie nahm seit einiger Zeit Englischunterricht, da sie eine Reise mit Jesko nach London plante, und ließ ab und an ein Wort in dieser für sie so faszinierenden Sprache einfließen. Sie lachte. »Du weißt, die Goelder-Zwillinge sind seine besten Freunde. Er konnte oder wollte sich nicht entscheiden, welcher von beiden es werden sollte.«
»Und wer ist es nun?«, fragte Ursula. »Leopold von Troyenfeld. Gustav und Mathias Goelder haben es mit Humor genommen, soweit ich weiß.«
»Zwei fesche Kerle sind das, diese beiden«, sagte Ursula träumerisch. »Sie haben ja einen Ruf wie Donnerhall.«
»Das kann man wohl sagen.« Elvira puffte ihre Freundin mit dem Schirm leicht in die Seite. »Du wirst doch wohl keine frivolen Gedanken haben?«
»Ach weißt du, mein Fritz ist ja nun man nicht mehr der Jüngste …«, sie seufzte. Dann lachte sie laut auf. »Man wird doch hoffentlich noch ein wenig träumen dürfen.«
»Natürlich, meine liebe Freundin. Aber nun komm, lass uns zurückgehen. Sieh nur, man versammelt sich schon vor dem Schloss.« Sie kamen gerade rechtzeitig, als die Glocken der hauseigenen Kapelle zu läuten begannen. Von allen Seiten strömten die festlich gekleideten Gäste herbei und schritten durch die Lindenallee zu der nahe gelegenen kleinen Kirche. Der Zug bewegte sich durch ein Spalier von Schaulustigen. Aus dem Dorf, das zur Grafschaft Wallerstein gehörte, waren die Menschen herbeigeströmt, um das große Ereignis zu bestaunen. Auch das Gesinde des Schlosses, alle im Sonntagsstaat, war vollzählig versammelt. Nicht nur die Herrschaft feierte heute, auch für das Gesinde gab es Bier, Schnaps und einen Ochsen am Spieß. Die mit Frühlingsblumen geschmückte Kapelle füllte sich langsam. Dort wartete Eberhard sichtlich aufgeregt auf die Ankunft seiner Braut. In seinem neuen Cut sah er blendend aus. Schon mehrere Male hatte er auf seine Taschenuhr geschaut. »Wo bleiben sie denn bloß?«, fragte er leise Leopold. »Sie sollten doch schon längst da sein.« Der klopfte ihm beruhigend auf die Schulter.
»Nu man mit der Ruhe, alter Lorbass. Deine Braut wird schon nicht verloren gehen auf dem kurzen Weg. Du wirst noch lange genug etwas von ihr haben.« In dem Moment begann die Orgel den Hochzeitsmarsch zu spielen, und Aglaia betrat am Arm ihres Vaters die Kapelle. Vor ihnen streute der fünfjährige Karl, Sohn von Mathias und Amalie Lackner aus Lindicken, Blumen. Er sah mürrisch aus, hatte man ihn doch in ein weißes Hemd und schwarze Escapins gesteckt und ihm die verhassten Lackschuhe angezogen. Es hatte Tränen gegeben, aber das Versprechen, nachher so viel Torte mit Schlagsahne zu bekommen, wie in ihn reinpasste, hatte ihn besänftigt.
Aglaia sah hinreißend aus in ihrem weißen, hochgeschlossenen Taftkleid mit der eng geschnürten Taille. Den langen Spitzenschleier trugen Ingrid und Karin, gerade mal vier und sechs Jahre alt, Töchter von Martha von Zerwitz, einer Freundin
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