Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
Kommerzienrätin Heller. Kurz darauf stieß Ursula von Eyersfeld mit der Gräfin Dühnkern zu der Runde, beide elegant wie immer. Und als Letzte Elvira. »Wo ist Aglaia?«, fragte Wilhelmine erstaunt. »Ist sie nicht mitgekommen?«
»Nein, sie fühlt sich nicht wohl. Die Hitze macht ihr zu schaffen.«
»Das ist ja ganz was Neues.« Wilhelmine war verärgert. »Früher konnte es ihr doch nicht heiß genug sein.«
Elvira sah sie erstaunt an. »Ja weißt du es denn nicht?« Die angeregte Unterhaltung erstarb. Da schien es eine interessante Neuigkeit zu geben. »Aglaia erwartet ein Kind. Hat Horst es dir denn nicht gesagt?«
Wilhelmines gestottertes »Ja … nein …« ging in den allgemeinen Glückwünschen unter.
»Wie wundervoll, du wirst Großmutter!« – »Das ist ja eine wunderbare Nachricht!« Scheinbar bemerkte niemand Wilhelmines Überraschung. Nur Elvira und Ursula tauschten einen verstohlenen Blick. Horst hatte ihr nichts gesagt. Aber warum? Da stimmte doch etwas nicht.
Wilhelmine hatte sich schnell wieder gefasst. »Ich wollte Ihnen gerade die freudige Nachricht verkünden.« Sie warf ihrer Freundin einen wütenden Blick zu. »Aber Elvira ist mir leider zuvorgekommen. Ich freue mich ja so für die beiden!« Bevor sie weitersprach, nahm sie noch einen Schluck Tee. »Aber ich habe noch eine Überraschung für euch.«
Alle sahen sie gespannt an. Das war ja mal wieder ein interessanter Nachmittag. »Ich habe mich entschlossen, mir in Königsberg ein Stadthaus zu nehmen.« Sie kam gerade noch dazu, zu sagen »Horst hat nichts dagegen …«, als alle begannen, durcheinanderzureden. »Was, du willst Wallerstein verlassen?« – »Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein.« – »Ja, warum denn?«
Als sich die Aufregung gelegt hatte, fuhr sie fort. »Aglaia ist aus dem Haus und gründet ihre eigene Familie, und Horst ist monatelang in Berlin. Mir wird das hier langsam zu einsam.« Elvira und Ursula tauschten erneut einen Blick. Da war doch etwas faul! Freiwillig räumte Wilhelmine das Feld bestimmt nicht.
Begeistert rief jetzt Frau Klühspieß: »Was für eine glückliche Fügung. Ich habe gerade ein Atelier in der Junkerstraße in Königsberg gemietet, mit einem großen Schaufenster. Dort eröffne ich demnächst meinen Couture-Salon. Dann werden wir uns noch öfter sehen als bisher!« Ihr Gesicht war hochrot vor Aufregung. Was für fabelhafte Aussichten für ihren beruflichen Neubeginn!
»Das ist wirklich eine Neuigkeit«, meldete sich Elvira jetzt zu Wort. »Ich dachte immer, das Stadtleben sei dir zuwider.«
»Man kann seine Meinung ja wohl einmal ändern. Ich habe vor, dort ein großes Haus zu führen, will ins Theater und in die Oper gehen …«
»Oh, da darf ich Sie vielleicht einmal begleiten, Frau Gräfin?«, rief die Klühspieß aufgeregt. Ein vernichtender Blick Wilhelmines ließ sie zusammenzucken. Die Frau war wohl verrückt geworden. Jetzt überschritt sie wirklich ihre gesellschaftlichen Grenzen. Das fehlte gerade noch, ihre Schneiderin neben ihr in der Loge!
»Nun, meine liebe Frau Klühspieß«, sagte Wilhelmine von oben herab, »an Begleitung wird es mir sicherlich nicht mangeln.« Für einen Moment herrschte eine angespannte Stimmung, aber bald kam die Unterhaltung wieder in Fluss, man hatte sich eine Weile nicht gesehen, und es gab all diese aufregenden Neuigkeiten zu besprechen. Elvira verabschiedete sich als Erste. »Komm doch gelegentlich rüber nach Birkenau, Wilhelmine«, sagte sie. »Aber schick vorher eine Note, damit ich zuhause bin. Ich habe jetzt viel zu tun. Das Kinderzimmer muss eingerichtet werden, die Dinge für das Kind besorgt und auch sonst einiges erledigt werden.« Von Aglaia sagte sie kein Wort. Es fiel wohl niemandem auf. Man war schon wieder in ein anderes Thema vertieft.
Elvira genoss die Heimfahrt in der offenen Kutsche. Es war bereits Spätnachmittag, die Hitze hatte merklich nachgelassen, und der Anblick der wogenden Felder, durchsetzt mit dem Rot des Mohns und dem Blau der Kornblumen beruhigte ihr aufgewühltes Gemüt. Sie hatte den Strohhut abgenommen, und der Fahrtwind strich sanft durch ihr blondes Haar. Die Lieblosigkeit Wilhelmines hatte sie mal wieder erschüttert. Es war ganz offensichtlich gewesen, dass sie nichts von Aglaias Schwangerschaft gewusst hatte. Und mit was für einer Chuzpe war Wilhelmine darüber hinweggegangen! Hatte das Ganze auch noch auf ihre, Elviras, Kosten ausgespielt. Keine echte Freude hatte sie gezeigt, es lediglich mit ein
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