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Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Titel: Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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denn auf Wallerstein?«, fragte Ferdinand jetzt. »Aglaia ist ja das Abbild von Wilhelmine. Ist sie immer noch so schön?« Auch er hatte vor vielen Jahren mal ein Auge auf sie geworfen.
    »Nun, ich denke, davon kannst du dich bald selbst überzeugen. Sie wird sicher in den nächsten Tagen hier auftauchen. Ich kann dir sagen, dort steht es wirklich nicht zum Besten.« Er berichtete ausführlich von den Geschehnissen der letzten Jahre auf Wallerstein und von Tanyas traurigem Schicksal. Er ließ nichts aus, verschwieg auch nicht, dass Tanya Horsts uneheliche Tochter war. »Wilhelmine ist darüber verbittert und bösartig geworden. Aglaia, das liebe Kind, leidet sehr darunter. Sie schließt sich mehr und mehr Elvira an.« Die beiden Brüder hatten sich viel zu erzählen. Die Kerzen in den Windlichtern waren längst heruntergebrannt, und es graute bereits der Morgen, als sie schwankend, betrunken und glücklich in ihre Betten fielen.
    Am nächsten Morgen fand Ferdinand beim Frühstück nur noch Jesko vor, vertieft in die Neue Preußische Zeitung .
    »Gottchen, wie siehst denn du aus? Hast du überhaupt nicht geschlafen?«, fragte Jesko entsetzt.
    »Doch«, stöhnte Ferdinand, »aber erst, nachdem ich der Flasche Port in meinem Zimmer auch noch zu Leibe gerückt bin …« Er drehte mit großer Mühe seinen Kopf dem Diener zu, der wartend am Buffet stand. »Einen Eisbeutel bitte, Willi, und einen starken Kaffee, nur schwarz. Ich kann nichts weiter zu mir nehmen.«
    Jesko hatte sich wieder seiner Zeitung zugewandt. »Stell dir vor, Ferdinand, wer gestern gestorben ist!«, rief er.
    »Heute ist mir jeder recht«, winkte der mit schmerzverzerrtem Gesicht ab. Kopfschüttelnd las Jesko weiter. Sollte sein Bruder sich doch seinem Kater hingeben. Mit ihm war erst in ein paar Stunden wieder etwas anzufangen.
    Mit dem Eisbeutel auf dem Kopf und leidendem Gesicht ging Ferdinand wenig später in die Küche, um die alte Hertha zu begrüßen. Er tat das immer, wenn er Birkenau besuchte. Er ahnte, dass sie bereits auf ihn wartete.
    »Ach Gjottchen, Jungchen, wie siehst denn du aus!« Hertha schlug entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen. »Hattest wohl ein Schlubberchen zu ville gjestern.« Obwohl Ferdinand auf die fünfzig zuging, würde er für Hertha immer das »Jungchen« bleiben.
    Ferdinand verdrehte die Augen. »Ich fürchte, ein Schlubberchen ist leicht untertrieben«, stöhnte er. »Aber sag, wie geht es denn dir, meine Gute?« Er setzte sich zu ihr an den großen Küchentisch.
    »Na ja, gjeht man so. Die Beine woll’n nich mehr gjanz so wie friher, und schläfern tut mir auch nich mehr so richtig.« Sie streichelte liebevoll seine Wange. »Aber es tut gjut, dich mal wiederzusehen.«
    »Also deinen Klopsen hat das keinen Abbruch getan«, sagte er, »die waren gestern ja man wieder ein Traum.« Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Ob du es glaubst oder nicht. Ich bin nur wegen deiner Klopse nach Hause gekommen.«
    »Na, nu übertreib man nich so«, sagte sie strahlend, und ihr liebes Gesicht lief vor Freude rot an. »Musst der Keller nur sagen, was du essen willst, ich koch dir alle deine Leibgjerichte.«
    Er tätschelte liebevoll ihre alte, abgearbeitete Hand.
    »Hör zu, Hertha, ich werde dir ein Schlafpülverchen besorgen lassen, und wenn dir die Beine weiter Beschwerden machen, lassen wir den Dr. Grüben kommen.« Er erhob sich. »Ich muss jetzt unbedingt an die frische Luft. Mir brummt der Schädel. Und mach mir keinen Kummer, Herthachen. Keiner kann die Klopse so gut wie du.«
    »Keine Sorge nich, Jungchen.« Sie begleitete Ferdinand zur Tür. »War ’ne gjroße Freude für mich, dich mal wieder zu sehen.« Kurz darauf kam Willi in die Küche, und die beiden Alten tranken einen kräftigen Schluck ›Weißen‹, sozusagen ein Begrüßungsschlubberchen auf die Rückkehr von Ferdinand, den sie beide doch so gern hatten. »Wat is er doch für’n gjutes Jungchen«, sagte Hertha immer wieder. »So eine Freude aber auch.«
    Nach dem Kleinmittag – Ferdinand hatte sich von seinem nächtlichen Besäufnis erstaunlich schnell erholt und einen gesunden Appetit entwickelt – fuhr er mit Aglaia im Einspänner nach Linderwies. Dem war am Morgen ein kleiner Streit zwischen Aglaia und Eberhard vorausgegangen. Aglaia hätte unbedingt reiten wollen, aber Eberhard hatte es ihr strikt untersagt. »Ich bin nicht krank, sondern nur ein bisschen schwanger!«, hatte sie aufgebracht gesagt.
    »Ein bisschen schwanger gibt es nicht«,

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