Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
setzte Eberhard dagegen. »Du bist fast im vierten Monat, und du weißt, der Doktor hat es dir ab da verboten. Willst du unser Kind denn mutwillig gefährden?«
»Nein, natürlich nicht.« Aglaia war kurz davor, in Tränen auszubrechen, aber Eberhard tröstete sie: »Basedow meinte gestern, du könntest jetzt wohl dein Hundchen abholen. Sieh mal, das ginge doch gar nicht, wenn du auf einem Pferd sitzt.«
»Wirklich? Das ist ja wunderbar!« Die Aussicht, endlich den ersehnten Hund zu bekommen, ließ sie in bester Stimmung die Kutsche besteigen. Bei strahlendem Sonnenschein fuhren sie los. Locker hielt Ferdinand die Leinen in der Hand, und es bedurfte nur einer kaum merklichen Bewegung, und der Fuchs fiel in einen leichten Trab. Als sie aus dem Birkenwald hinausfuhren, brachte Ferdinand mit einem leisen Brrrr das Pferd zum Stehen. »Lass mich einen Moment diesen herrlichen Anblick genießen. Das Gelbgold des Weizens, die saftigen Wiesen und diese unendliche Weite – das ist unser Ostpreußen. Nirgends auf der Welt gibt es etwas Schöneres.«
»Und doch zieht es dich immer wieder in die Ferne«, sagte Aglaia leise.
»Ja, du hast ja recht. Aber ich bin eben ein unruhiger Geist.« Ein Ruck mit dem Zügel ließ den Fuchs wieder in einen leichten Trab fallen, und schnell waren sie in Linderwies angelangt. Sie fanden Eberhard und Basedow unweit der Ställe an der eingezäunten Reitbahn. Ein Pferdeknecht führte einen unruhig tänzelnden, nervösen Grauschimmel an einer Longe im Kreis.
»Einen schönen guten Tag! Was für ein herrliches Pferd. Ist es aus deiner Zucht, Eberhard?«, fragte Ferdinand.
»Ja«, sagte er stolz, »es ist ein Hengst von besonderem Format. Kolossal bemuskelt mit hervorragenden Sprunggelenken. Er wird einen prächtigen Beschäler abgeben. Wir hatten schon Anfragen, ihn zu verkaufen.« Er klopfte seinem Oberinspektor freundschaftlich auf die Schulter. »Was Basedow, da sind wir uns einig. Der Prachtkerl bleibt auf Linderwies!«
Während die Männer weiter über Pferde fachsimpelten, ging Aglaia in den Stall. Die alte Hündin lag schläfrig in ihrem Verschlag, ihre Jungen drängten sich fest an sie und balgten miteinander. Als sie Aglaia sah, hob die Hündin müde den Kopf und schlug zur Begrüßung ein paarmal mit der Rute. Mittlerweile kannte sie Aglaia und knurrte auch nicht, als die sich mit sicherem Griff ihren Welpen herausfischte, ein schwarzes Wollknäuel mit einem weißen Fleck am Hals. Zärtlich drückte sie das kleine weiche Tier an sich. »Gottchen, bist du süß«, flüsterte sie. »Ich hab dich jetzt schon ganz doll lieb.« Leise verließ sie den Stall. »Ich gehe hinüber zu Minchen«, rief sie den Männern zu, die sich immer noch über die Pferdezucht unterhielten.
Minchen Basedow saß in ihrem kleinen Vorgarten unter einem Kastanienbaum auf einer Bank, ein Strickzeug in der Hand. Die beiden Kinder spielten im Sandkasten und buken Sandkuchen.
»Frau von Kaulitz«, rief Minchen erfreut, »nehmen Sie Platz. Das is ja man ’ne Freude, Sie zu sehen. Darf ich Ihnen en Saft oder en Gjlas Milch bringen? Is ja mächtig heiß heute.«
»Ich nehme gerne einen Saft«, sagte Aglaia und setzte sich in den Schatten auf die Bank.
»Bin gjleich zurück«, rief Minchen und verschwand im Haus. Vorsichtig legte Aglaia das kleine Tier auf ihre Knie.
Mäxchen kam auf seinen wackeligen Beinen herbei und streichelte mit den sandigen Händchen den kleinen Hund. »Hundchen liieeeb!«, sagte er. »Ganz liiieeb.«
»Nu geh du man schön wieder zu Lenchen Kuchen backen«, sagte Minchen, als sie, in den Händen ein Tablett mit Saft und Kuchen, zurückkam.
»Ach Gott, Minchen, ich hab doch gar keinen Hunger«, lachte Aglaia.
»Der kommt beim Essen, könn’ Se mir gjlauben. Nu erzähln Se mal. Is Ihnen immer noch koddrich morgjens?«
»Nein, es geht mir bestens. Nur reiten darf ich nicht mehr. Das macht mich ein wenig unglücklich.«
»Ach, das gjeht och vorbei. Reiten könn’ Se noch Ihr gjanzes Leben.« Während sich die beiden jungen Frauen angeregt über Schwangerschaft, Stillen und durchwachte Nächte unterhielten, zeigte Eberhard seinem Onkel das Gut.
»Du weißt, dein Vater ist mächtig stolz auf dich, mein Junge«, sagte Ferdinand während des Rundgangs. »Und was ich hier so sehe … Donnerwetter, das ist wirklich allerhand.«
»Danke, Onkel Ferdinand, es tut gut, das zu hören. Papa ist mit seinen Komplimenten eher ein bisschen zurückhaltend. Hat er dir erzählt, dass wir Schernuppen
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