Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
entschlossen, zu heiraten?« Aglaia war erstaunt.
»Nu eigjentlich hat er ja gjar nich wollen, regjerecht gjesträubt hat er sich. Aber mein Muttchen hat ihm ’ne Frau besorjt.«
»Aha.« Aglaia wurde die Geschichte langsam etwas langatmig. »Und dann?«
»Als er in die Kirche kam …«, Minchen senkte ihre Stimme zu einem Flüstern, »da hat mein Muttchen gjesagt … ach Gjottchen, jetzt bringen se ihm.«
Aglaia brach in schallendes Gelächter aus. »Sehr glücklich scheint der Bräutigam ja nicht ausgesehen zu haben.«
»Ne, hat er nich.« Minchen sprach wieder mit normaler Lautstärke.
»Aber mein Muttchen meinte, et gjinge ja nun man nich anders.« Franz fing jetzt an zu quengeln, und Minchen nahm ihn auf den Arm. »Hast wohl Hunger, mein Kleinerchen?«, fragte sie zärtlich. Ohne jede Scham öffnete sie ihr Mieder und gab dem Kleinen die volle gefüllte Brust. Liebevoll strich sie dem saugenden Kind über den blonden, flaumigen Kopf.
Aglaia war tief berührt. Noch niemals hatte sie eine solche Innigkeit gesehen. Nach einer Weile erhob sie sich. »Ich werde noch ein paar Schritte gehen«, sagte sie. »In letzter Zeit habe ich einfach nicht genug Bewegung. Mein dicker Bauch lässt mich ein wenig träge werden. Kommt, Paulchen, Bello.« Schwanzwedelnd liefen ihr die Hunde voraus zur Tür. »Also bis zum nächsten Mal, Minchen. Danke für die Milch, und sei nicht zu streng zu den Kleinen.« Elvira erzählte sie am Abend: »Ich habe noch nie so einen glücklichen Menschen gesehen wie heute Minchen Basedow, als sie ihr Kind stillte.«
›Das ist ja schon richtiges Novemberwetter‹, dachte Aglaia, als sie über den Hof ging, ihre Hände tief in ihrem Muff vergraben. Die Hühner standen mit zerzausten Federn und eingezogenen Hälsen vor dem Stall, und der Hofhund kam nicht einmal aus seiner Hütte, als die Hunde an ihm vorbeiliefen. Aufgeplusterte Krähen saßen auf den Ästen der kahlen Bäume und blickten missmutig auf Aglaia herab. Nach eine halben Stunde machte sie kehrt und ging in die Arbeitsstube von Linderwies. »Mir ist kalt und ich bin müde, Eberhard. Meinst du, wir können nach Hause fahren?«
Der sprang sofort auf. »Aber natürlich, Liebling. Morgen ist auch noch ein Tag. Und die Arbeit läuft mir nicht davon.«
Überall bereitete man jetzt die Jagden vor. Gleich nach seiner Rückkehr aus Berlin war Horst zu seiner Tochter geeilt. Aglaia saß im Musikzimmer am Flügel und spielte eine Etüde von Bach. »Papachen, endlich!« Sie flog ihm in die Arme. »Wie schön, dich zu sehen.«
»Ja, mein Kind, ich freue mich auch sehr. Schreckliche Sehnsucht habe ich nach dir gehabt.« Er schob sie ein wenig von sich weg. »Wie schön du bist«, sagte er stolz. »Die Schwangerschaft scheint dir ja prächtig zu bekommen.«
»Na ja, es geht man so. Ich bin doch sehr unbeweglich …«, sie umfasste mit beiden Händen ihren Bauch, »… das unruhige Kindchen raubt mir oft den Schlaf. Das macht mich natürlich ein wenig schlapp. Aber erzähl, hast du Mamas Haus in Königsberg schon gesehen? Es ist prächtig.«
»Das möchte ich doch hoffen, bei den Unsummen, die es gekostet hat …« Er sprach nicht weiter, weil in diesem Moment Willi klopfte und fragte, was er servieren dürfe.
»Für mich bitte einen Grog«, sagte Horst und Aglaia: »Ich nehme einen Tee, und bitte sag meiner Schwiegermutter Bescheid, dass mein Vater da ist.«
Als Willi gegangen war, fragte Aglaia: »Ist Mama tatsächlich zur Kur gefahren? Sie erwähnte es kürzlich, als wir sie in Königsberg besuchten. Ich wollte es gar nicht glauben … Die Jagdsaison auf Wallerstein war doch stets ihr größtes Vergnügen, die vielen Gäste, der ganze Trubel, da war sie doch immer in ihrem Element.« Sie sah ihren Vater fragend an.
Horst war aufgesprungen und ging, die Hände auf dem Rücken, unruhig hin und her. »Ich muss dir etwas sagen, mein Kind. Deine Mutter und ich werden in Zukunft räumlich getrennt leben. Wenn ich in Berlin bin, steht ihr Wallerstein offen, aber die wenige Zeit, die ich hier verbringe, wird sie in ihrem Haus in Königsberg sein oder meinetwegen auch auf einer Kur.«
Entsetzt sah Aglaia ihn an. »Aber ihr lasst euch doch nicht scheiden?«
»Nein, dafür besteht kein Grund. Außerdem will ich deiner Mutter, und vor allem auch dir, den Skandal ersparen.« Horst hatte sich wieder gesetzt und nahm einen Schluck von seinem Grog. »Hat dir deine Mutter denn gar nichts gesagt?«
»Nein, das hat sie nicht.«
»Nun, offensichtlich
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