Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)
Gastgeber.« Offensichtlich bereute sie ihre Boshaftigkeiten von vorhin, und wollte sie wiedergutmachen.
»Schade«, meinte Wilhelmine, »aber vielleicht lässt sich das ja ein andermal nachholen.«
Als Erste brachen Elvira und Aglaia auf. Wilhelmine begleitete die beiden zur Tür. »Bitte kommt mich bald wieder besuchen. Ich melde mich, wenn ich von meiner Kur zurück bin.«
»Gern Mama, und erhol dich gut.« Aglaia küsste ihre Mutter erst auf beide Wangen und dann mit einem Knicks ihre Hand.
»Du bist uns auf Birkenau jederzeit herzlich willkommen, Wilhelmine«, sagte Elvira und nahm sie fest in den Arm. »Ich möchte, dass du das weißt.« Sie empfand tiefes Mitleid mit ihrer alten Freundin.
Die Ernte war eingefahren. Besonders gut war sie in diesem Jahr ausgefallen, noch besser als im letzten, wo man auch nicht unzufrieden gewesen war. Jetzt begann die Zeit der Schreibarbeit, um das vom Tisch zu bekommen, was während der Feldarbeit liegen geblieben war. Hin und wieder begleitete Aglaia Eberhard nach Linderwies, um mit Minchen Basedow zu plaudern, während Eberhard mit seinem Oberinspektor über den Büchern saß.
Für Minchen war es immer eine besondere Freude, wenn Aglaia sie besuchte, eine Abwechslung ihres täglichen Einerleis mit Haushalt und den Kindern. Längst schon hatte sie ihre Scheu vor der schönen jungen Gräfin verloren, was sicher auch daran lag, dass Aglaia keinerlei Dünkel besaß und immer herzlich lachen musste, wenn Minchen Geschichten aus ihrer Heimat Kalitken erzählte. Es war Ende Oktober, dichte Schwärme von Staren sammelten sich für ihren Flug nach Süden und verdunkelten, wenn sie sich erhoben, für einen Moment den Himmel. Aglaia saß mit Minchen in der warmen Stube. Zu ihren Füßen lagen, zu zwei Knäueln zusammengerollt, leise schnarchend ihre Hunde Paulchen und Bello, die die ganze Fahrt neben der Kutsche hergerannt waren. Um sie herum spielten Max und Lenchen friedlich auf dem Boden mit ihren Bauklötzen, während Minchen mit dem Fuß die Wiege des kleinen Franz leise hin- und herschaukelte. Aglaia wärmte sich die klammen Finger an dem bullernden Ofen.
»Mein Herbert meint, wir kriegen wohl ’nen frühen Winter«, sagte Minchen. »Die Störche sind besonders früh weg dieses Jahr.«
»Ja, ich fürchte auch.« Ungeniert zog Aglaia ihre Schnürstiefelchen aus und hielt auch ihre kalten Füße an das Feuer. »Es ist ja jetzt schon bastig kalt. Wir werden wohl bald nicht mehr mit der offenen Kutsche fahren können.«
Ohne gefragt zu haben, gab Minchen ihr eine Tasse heiße Milch. »Trinken Sie man, das wird Sie wärmen und is gjut für das Kindchen. Strampelt es schon?«
»Ja, vor allem nachts. Deshalb bin ich auch sehr schnell müde.« Mit einem Lächeln, aber leicht schläfrig lauschte sie dem Geplapper Minchens. Ab und an schlichtete die streng, aber liebevoll einen kleinen Streit um einen Bauklotz oder tröstete, wenn sich eines der Kinder wehgetan hatte. Als Max seiner kleinen Schwester einen Bauklotz auf den Kopf schlug und diese zu schreien begann, wurde sie laut. »Das wirste gjefälligst lassen, Max, sonst musst du inne Schlafstube gehen. Haste verstanden?« Max machte einen Schmollmund, und Minchen pustete Lenchen den Schmerz weg. »Is jetzt wieder gjut, Lenchen?«, fragte sie und nach einem strengen Blick in Richtung ihres Sohnes redete sie weiter. »Egal, was dat Mäxchen anstellt, der Basedow …« – so nannte sie ihren Mann, wenn sie etwas an ihm auszusetzen hatte – »… kann einfach nich streng sein. Egjal, was der Rabauke anstellt. ›Minchen‹, sacht er immer, ›Minchen, ich kann dat nich. Erziehen musst du die Kinderchens.‹« Sie machte ein ernstes Gesicht. »Glaub’n Sie mir, dat is nich immer einfach.«
Aglaia lächelte. »Ich finde, du machst das sehr gut, Minchen. Aber erzähl doch mal. Warst du nicht kürzlich in Kalitken? Mein Mann erwähnte so etwas.«
»Ach Gjottchen, ja. Mein Muttchen sein Bruder hat gjeheiratet.« Sehr glücklich sah sie nicht aus.
»So, und wie war es, hat er denn eine nette Frau?«
»Na ja, ich weiß nich so recht.« Sie machte ein bedenkliches Gesicht. »Eigjentlich wollt er ja nie nich heiraten. Er is ja man auch schon an die fuffzig.«
»Ja, warum hat er denn nun … also Minchen, jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!«
»Nu je … er hat sein Leben lang bei seiner Cousine gjelebt, die hat ihm die Wirtschaft gjefihrt, und die is gjanz plötzlich gjestorben.«
»Und da hat er sich
Weitere Kostenlose Bücher