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Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Titel: Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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an. »Was sagst du denn da, Hannchen? Ich glaube, du hast den Verstand verloren! Niemals hat Clemens mir den geringsten Anlass gegeben, so etwas auch nur zu vermuten.« Aglaia zitterte vor Empörung.
    Hannchen zog sie am Ufer des Sees auf eine Bank unter einer ausladenden Trauerweide. »Nun beruhige dich doch, Aglaia. Vielleicht irre ich mich ja auch.« Sie nahm ihre Freundin in den Arm. »Vergiss, was ich gesagt habe. Komm, lass uns zurückgehen. Man wird uns schon vermissen.«
    Außer dass Ferdinand wieder auf Reisen ging – was niemanden verwunderte –, verlief der Sommer ohne besondere Vorkommnisse. Die Revolution war zwar vorbei, dafür sorgte die Gründung des Deutschen Bundes für wochenlangen Gesprächstoff bei den Männern, und dieser Bismarck war neuerdings in aller Munde. All das interessierte Aglaia nicht. Dieses Mal machte ihr die Schwangerschaft mehr Probleme. Ständig war sie müde, litt unter Übelkeit und Unlust. Vor allem die Hitze machte ihr zu schaffen. Aber Alex, ihr kleiner Sonnenschein, riss sie immer wieder aus ihrer aufkeimenden Melancholie.
    Als Aglaia und Elvira einmal für Besorgungen in Königsberg waren, begegneten sie in einer Konditorei Wilhelmine. Man sprach ein paar belanglose Worte, aber keiner machte Anstalten, eine Versöhnung herbeizuführen.
    »Mein armes Kind«, sagte Elvira, nachdem Wilhelmine erhobenen Hauptes hinausgerauscht war, »es tut mir so leid für dich.«
    »Was tut dir leid? Dass ich so eine Mutter habe? Ich empfinde nichts, wenn ich sie sehe. Es ist mir schon seit langem klar, mit Tanyas Tod ist auch sie für mich gestorben.«
    Es war Ende Oktober. Noch waren die Laubbäume bunt gefärbt, aber bald würden die Stürme sie kahl fegen. Die meisten Vögel hatten sich bereits auf den Weg in den Süden gemacht, und auf den fleckigen Wiesen graste nur noch vereinzeltes Vieh.
    An einem Freitagmorgen, Jesko und Eberhard waren eine Stunde zuvor mit dem Einspänner nach Insterburg gefahren, um dringende Geschäfte zu erledigen, setzten bei Aglaia die Wehen ein.
    »Willi, schnell! Jacob soll die Hebamme holen. Es geht los!«, rief Elvira aufgeregt. Sie rang verzweifelt die Hände. Der Geburtstermin war doch erst Anfang Dezember! Eine Frühgeburt, wie entsetzlich! Helma, die bei Alexander gerade die Windeln wechselte, setzte ihn in seinen Laufstall und rannte in die Küche.
    »Heißes Wasser und Tücher, das Kind kommt«, schrie sie und rannte zurück, um Elvira zur Hand zu gehen.
    »Du liebe Gjüte«, rief Hertha und trieb die Dienstmädchen zur Eile an. »Manchmal gjeht so was ja gjanz fix.« Aber diesmal sollte alles länger dauern. Der Kutscher brauchte fast eine Stunde, bis er die Hebamme fand. Sie war bei einer anderen Geburt auf einem entlegenen Gehöft und ließ sich von Josef nicht aus der Ruhe bringen, der unruhig vor dem Haus auf und ab ging und immer wieder durch das offene Fenster rief: »Nu mach man hinne, Erna.«
    Schließlich kam sie hinaus und stemmte resolut ihre Hände in die Seiten. »Sachte, sachte, Jungchen. Hör auf, mir zu stören.« Beim Hineingehen drehte sie sich noch einmal um. »Wie lange liegt die Gjnädije schon in den Wehen?«
    Josef zuckte die Achseln. »Hat wohl gjerade man angjefangen.«
    »Siehste, also keen Gjrund zur Panik nich. Wenn ich hier fertig bin, könn wer fahrn. Vorher gjeht’s nu man nich.«
    Als sie nach über einer Stunde auf Birkenau ankam, lief ihr Elvira entgegen. »Na endlich, Frau Kurbischke. Sie kommen ja schrecklich spät. Ich weiß auch nicht, irgendwas ist anders als beim letzten Mal. Das Kind kommt ja fast zwei Monate zu früh. Ich mache mir schreckliche Sorgen. Hoffentlich geht das man bloß gut.« Sie rang verzweifelt die Hände.
    »Na dann wolln wer mal«, sagte die Hebamme anscheinend ungerührt. Man merkte ihr nicht an, dass auch sie äußerst besorgt war. Als sie die Treppe hinaufging, fragte sie: »Sind die Herren nich da?«
    »Nein, die sind in Insterburg. Aber nun kommen Sie schon.« Von oben ertönte ein Schrei. »Hören Sie denn nicht, wie meine Schwiegertochter sich quält?«
    »Das is ja nu man so.« Frau Kurbischke war nicht aus der Ruhe zu bringen. »Ohne Schmerzen gjeht das doch nie nich.« Die Wehen dauerten nun bereits einige Zeit an, und Aglaias gellende Schreie waren bis in die Wirtschaftsräume zu hören. Willi erschien regelmäßig bei Hertha in der Küche und goss einen großen Weißen hinunter.
    »Erbarmche«, rief Hertha dann, »dass die arme Gjnädije aber auch so firchterlich leiden muss

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