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Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Titel: Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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tun? Ich denke, deine Tochter weiß ganz genau, was sie tut. Und damit das mal klar ist. Mir wäre eine Freundin wie die nette junge Gutsinspektorsfrau wesentlich lieber als eine langweilige, verknöcherte Kommerzienrätin.«
    »Das passt mal wieder zu dir!« Wilhelmines Gesicht hatte sich hochrot verfärbt. »Frau Heller ist eine sehr honorige Dame. Ich möchte dich bitten, das zu respektieren.«
    »Du liebe Zeit, Wilhelmine, reg dich doch bloß nicht so auf.« Louise hob spöttisch die Augenbrauen. »Denk an deinen Blutdruck. Du siehst schon wieder aus wie eine überreife Tomate.«
    »Würdest du derartige Bemerkungen in Zukunft unterlassen!«
    »Ist ja gut, Schwesterherz.« Louises Wut war so schnell vergangen, wie sie gekommen war. »Jetzt beruhige dich mal wieder. Aber manchmal bringst du mich mit deiner Art einfach auf die Palme.« Sie wandte sich an Philine. »Kannst du die Kaulitzens um Clemens’ Adresse bitten? Ich werde sicher irgendwann nach England reisen. Vielleicht könnte ich ihn ja besuchen.« Sie erhob sich. »Aber jetzt muss ich mich leider verabschieden. Ich gehe heute Abend in die Oper und brauche davor noch etwas Schönheitsschlaf.«
    Nach drei Monaten kam der erste Brief von Clemens. Jesko las gerade seine Morgenzeitung, als der Diener ihm mit wichtiger Miene das silberne Tablett mit der Post reichte, obenauf ein dickes, mit ausländischen Marken beklebtes Couvert. »Danke, Willi.« Jesko gab dem Diener, der neugierig neben ihm stehengeblieben war, einen Wink, sich zu entfernen. »Lesen kann ich allein.«
    »Sehr wohl, Herr Graf.« Mit beleidigter Miene zog er sich zurück. Kurz darauf kamen Eberhard und Aglaia von ihrem morgendlichen Ausritt zurück, und Jesko rief aufgeregt: »Stellt euch vor, Clemens heißt jetzt Lord Ashleighton! Und er schreibt, sein Landsitz sei so riesig, dass er noch gar nicht alle Zimmer gesehen hat. Er bekommt fünfzehntausend Pfund Sterling jährlich für seine persönlichen Ausgaben!« Er war völlig außer Atem. »Wie findet ihr das denn – ist das nicht unglaublich?«
    »Das kann man wohl sagen.« Auch Eberhard war tief beeindruckt. »Doll finde ich das. Nur schade, dass unser Freund so schrecklich weit weg ist.«
    »Sprecht ihr etwa von Clemens?«, fragte Elvira, die gerade hereingekommen war.
    »Ja, er hat geschrieben«, erklärte Jesko. »Er ist jetzt ein Lord und ein schwerreicher Mann dazu. Du musst das selbst lesen.« Der Brief ging von Hand zu Hand und sorgte für viel Gesprächsstoff. Schließlich mussten alle Freunde von Clemens’ plötzlichem Reichtum erfahren.

Sommer 1857

    D ie Verbindung zu Clemens riss nicht ab. Mindestens einmal im Jahr kam ein langer Brief, und zu Weihnachten schickte er jedes Jahr ausgesuchte Geschenke. Sein besonderes Interesse galt Alexander, seinem Patenkind. Als dieser fünf Jahre alt wurde und Aglaia an Clemens schrieb, dass er zum Geburtstag sein erstes eigenes Pony bekäme, schenkte er ihm einen kostbaren Sattel.
    Alexander soll wissen, dass ich als sein Patenonkel immer für ihn da sein werde. Und wenn er später einmal den Wunsch hat, mich in England zu besuchen, würde ich mich über alle Maßen darüber freuen. Auch ihr seid mir jederzeit herzlich willkommen. Aber das wisst ihr ja!
    Doch außer Louise schaffte es niemand, ihn zu besuchen. Zwar wurden immer wieder Reisepläne geschmiedet, aber stets kam etwas dazwischen. Mal war es eine schlechte Ernte, mal war eines der Kinder krank, zwar nie ernsthaft, aber immerhin so, dass eine Reise dadurch verhindert wurde. Louise, deren Reiselust über die Jahre nicht nachließ, war dafür sogar mehrere Male in England und natürlich auch Gast bei Clemens. Jedes Mal berichtete sie ihren Freunden begeistert über ihn und sein neues Zuhause. »Der ›bescheidene‹ Landsitz, meine Lieben, ist ein prachtvolles Schloss unweit von London. Clemens scheint bereits der Liebling der Londoner Gesellschaft zu sein. Wo immer ich eingeladen war, war er auch.«
    »Was meinst du, Louise«, fragte Elvira, »ist der Junge denn glücklich?«
    Louise zuckte die Schultern. »Schwer zu sagen. Immer wenn wir uns trafen, gab es nur ein Thema, nämlich Ostpreußen und euch. Er nennt euch seine Familie.«
    »Und ist er immer noch allein?« Elvira zögerte. »Ich meine, er ist ja schließlich im heiratsfähigen Alter.«
    »Die Damenwelt liegt ihm zu Füßen, jung wie alt.« Louise kicherte. »Er ist ein bildschöner Mann, immer nach der neuesten Mode gekleidet und kein Kostverächter, wie man munkelt.

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