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Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition)

Titel: Himmel über Ostpreußen: Schicksalsjahre einer Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja Schulze-Lackner
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zögerte. »Und Ellart … nun, das Kind scheint mir noch etwas sehr verspielt …«
    »Ach, das wird schon!« Elvira war dazugekommen und nahm ihren kleinen Liebling wie immer in Schutz. Aber auch bei den folgenden Rapporten konnte Herr Kastner nicht viel mehr Positives über Ellart berichten. »Vielleicht sollte ich den Jungen am Nachmittag noch ein bis zwei Stunden allein unterrichten«, schlug er vor, was wütende Proteste Ellarts zur Folge hatte. Und wieder mischte sich Elvira ein.
    »Ach, lassen Sie man, Herr Kastner. Das wird schon. Ich werde mal mit dem Ellartchen reden.« Aber Ellart besserte sich nicht. Er war aufsässig, lernte schlecht, und irgendwann gab Herr Kastner seine Bemühungen auf, ihm mehr beizubringen als nötig, und konzentrierte sich ganz auf Alexander.
    Ellart hatte schon früh gemerkt, dass er mit Elvira machen konnte, was er wollte. Wenn er etwas ausgefressen hatte, rannte er weinend zu ihr, küsste und streichelte sie und beteuerte seine Unschuld. »Du musst mir helfen, Großmamachen!«, rief er dann, und Elvira zerfloss in Mitleid, wenn Aglaia oder Eberhard dafür sorgten, dass er seine gerechte Strafe bekam.
    Ungefähr ein Jahr später saßen Eberhard und Basedow nach getaner Arbeit beisammen und tranken gemeinsam ein Bier. Sie beobachteten Alexander und Franz, die im Hof herumtobten. »Alexander macht sich wirklich prima«, sagte Eberhard stolz. »Kastner ist voll des Lobes. Deshalb darf er mich auch so oft wie möglich nachmittags begleiten. Nur Ellart scheint nicht so recht voranzukommen, obwohl Kastner sich große Mühe mit ihm gibt.«
    »Tja, mein Franz macht mir auch ein bisschen Kummer«, sagte Basedow. »Er geht gar nicht gern in die Schule.«
    »Nanu, warum denn das? Er macht mir doch einen sehr aufgeweckten Eindruck.«
    »Er ist wohl ein bisschen zu aufgeweckt«, erklärte Basedow. »Er liest und schreibt schon besser als seine älteren Geschwister, und manchmal will er gar nicht in die Schule gehen. Er sagt, es sei ihm zu langweilig da. Was die da machen, sei immer das Gleiche, das könne er ja schon.«
    Eberhard dachte kurz nach, dann rief er: »Ich habe eine Idee, Basedow. Ihr Junge scheint mir in der Dorfschule unterfordert. Warum lassen sie ihn nicht zusammen mit Alexander und Ellart auf dem Schloss unterrichten? Das würde ihm bestimmt mehr Spaß machen als in der Gemeinschaftsschule. Na, was meinen Sie?«
    Basedow sah Eberhard erfreut an. »Wenn das ginge? – Ich meine, wenn Ihre Frau oder Ihr Vater nichts dagegen haben … ja, mit großer Freude würde ich das annehmen.«
    »Ach was!« Eberhard goss noch einmal die Biergläser voll. »Niemand wird etwas dagegen haben, und Alexander wird es besonders freuen.«
    Aber Eberhard irrte sich. Ellart war außer sich. »Was will denn dieser Bauernjunge hier?«, fragte er Elvira aufgebracht. »Und wie ist der überhaupt angezogen? Hast du die Schuhe gesehen?«
    »Lass man Jungchen«, versuchte Elvira ihn zu besänftigen. »Nicht alle Eltern haben das Geld, ihren Kindern ständig neue Schuhe zu kaufen. Und Franz ist doch ein netter Junge, er ist schließlich der Freund von Alex.« Sie strich ihm zärtlich über den Kopf. »Also jetzt sei mal wieder lieb.« Sie konnte ihm einfach nicht böse sein. Aber heimlich beschlich sie eine Ahnung. Hatte der Junge womöglich Wilhelmines Dünkel geerbt? Hier auf Birkenau lebte ihm das ja nun wahrlich niemand vor. Aber schnell verwarf sie diesen unangenehmen Gedanken. Er war ja noch so klein! Kindlicher Übermut musste das sein, und vielleicht auch ein bisschen Eifersucht auf die Freundschaft zwischen Alex und Franz, es würde sicher wieder vergehen. Herr Kastner war erstaunt über Franz’ schnelle Auffassungsgabe. Bald hatte er den Stoff aufgeholt, den Alexander und Ellart in einem Jahr durchgenommen hatten, lernte Algebra und begeisterte sich für Geschichte, alles Dinge, die in der Dorfschule natürlich nicht vorkamen. »Sie hatten recht, Herr von Kaulitz, der Junge war in der Dorfschule eindeutig unterfordert. Und ich habe den Eindruck, Alexander hat jetzt noch mehr Spaß am Lernen. Die beiden Jungen liefern sich geradezu einen Wettstreit.« Das Gesicht des Lehrers hatte sich vor Aufregung leicht gerötet, und seine kurzsichtigen Augen strahlten. »Ich muss Ihnen gestehen, dass ich selten so viel Freude an meinen Schülern hatte wie hier auf Birkenau. Bitte sagen Sie das auch Herrn Basedow. Franz ist ein prächtiger Kerl.«
    »Das werde ich gerne tun, Herr Kastner. Und wie geht es mit

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