Himmel über Tasmanien
auf der Kiesauffahrt an. Er half ihr beim Aussteigen, seine Miene war ängstlich. »Bist du sicher, dass du das machen willst?«
»Absolut.«
Peter lächelte. »Ich sehe dir an, dass du nervös bist, trotz des tapferen Gesichts, aber ich bewundere dich, Lulu, und ich bin mir sicher, dass es Dad genauso gehen wird. Denke immer daran: Hunde, die bellen, beißen nicht, also lass dich nicht von ihm einschüchtern.«
»Ich weiß, wie man mit Tyrannen umgeht«, brummte sie. »Wir wollen es hinter uns bringen.«
Er führte sie über einen von Hortensien gesäumten Pfad zur weitläufigen Rasenfläche. Das Haus stand auf dem Hügel, dahinter ragte der Mount Wellington auf, während Hobart sich an seinem Fuße ausbreitete. An den Fenstern hingengrüne Holzläden, Glastüren führten auf eine breite Terrasse, auf der Stühle und Tische auf milderes Wetter warteten.
Ihr Herz hämmerte, als Peter sie die Stufen zur Terrasse hinauf und in eine große Empfangshalle führte, in der Männer und Frauen beim Brettspiel zusammensaßen oder bei einer Tasse Tee plauderten. Ihr Blick huschte von Gesicht zu Gesicht, und sie wartete auf eine Reaktion – fragte sich, wer ihr Vater war, und fürchtete sich beinahe davor, ihn zu sehen.
»Er wird in seinem Zimmer sein und Radio hören, da es zu kalt ist, um rauszugehen«, sagte Peter leise. Er führte sie einen langen Flur entlang und blieb vor einer geschlossenen Tür stehen.
Lulus Beine drohten nachzugeben, und sie hielt sich an seinem Arm fest. »Ich weiß nicht, ob ich es kann«, sagte sie, plötzlich von Panik ergriffen.
»Dann gehen wir.«
Lulu hatte das Gefühl, vor Unentschlossenheit am Boden zu kleben. Sie war von so weit her gekommen und war nun lediglich ein paar Schritte von dem Mann entfernt, den sie ihr Leben lang hatte kennenlernen wollen. Sie musste den Mut aufbringen, es durchzustehen, sonst würde sie es ewig bereuen. Sie schaute zu Peter auf und sah ihm an, dass er ebenso nervös war wie sie. »Versprichst du mir, dass du mich nicht allein lässt?«
Peter nickte.
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und machte die Tür auf.
Frank White saß in einem Lehnstuhl am Fester, sein Hut lag auf dem Tisch neben ihm, und er lauschte so konzentriert der Übertragung aus dem Radio, dass er seine Besucher nicht bemerkte.
Lulu blieb im Türrahmen stehen und betrachtete ihn mit unverhohlener Neugier, denn das war der Vater, den sie nie gekannt hatte, der Mann, dessen Gesicht sie nie gesehen hatte – nicht einmal in ihren Träumen. Er hatte einen lockigen silbergrauen Haarschopf, der ihm fast bis an den Kragen reichte, und seine ledrige Haut war beredtes Zeugnis für Leben und Arbeiten unter der Sonne, doch die Linien und Furchen in seinem Gesicht verstärkten nur seine robuste äußere Erscheinung. Frank White war einmal ein sehr gut aussehender Mann gewesen.
Sie trat in den Raum, bezwang ihre Angst, und ihre Zuversicht wuchs.
Frank wandte sich vom Radio ab, seine hellblauen Augen weiteten sich, als er sie erblickte. »Was machst du hier?«, krächzte er und griff nach seinem Krückstock. »Ich habe Peter doch gesagt, dass du nicht kommen sollst.«
»Ich werde gehen, wenn du es willst«, erwiderte sie kühl, »aber das wäre schade, denn dann könnten wir uns nicht kennenlernen.«
Frank kam mühsam auf die Beine und schaltete das Radio aus. »Du hast Nerven, Mädchen, das muss ich schon sagen«, knurrte er.
»Ich fand es albern, sich nicht zu treffen, wenn wir schon in derselben Stadt sind«, sagte sie und trat einen Schritt auf ihn zu, »und ich musste kommen, um meine Neugier zu befriedigen.«
Frank grinste und warf einen Blick auf Peter. »Sie ist eine richtige Engländerin, was? Spricht wie eine von der BBC.«
»Clarice hat mich Sprachunterricht nehmen lassen. Ich habe jede einzelne Stunde verabscheut«, stellte sie nüchtern fest.
Sein Lächeln verblasste, als er sie von Kopf bis zu ihren praktischen Stiefeln musterte. »Als ich dich das letzte Mal sah, warst du noch ein Knirps«, sagte er barsch, »aber du liebe Güte, was bist du groß geworden.«
Ihr Puls raste. »Haben wir uns denn schon einmal gesehen?«
»Vor langer, langer Zeit«, sagte er leise.
»Warum wolltest du mich nicht mehr wiedersehen?«
Er sank wieder in den Lehnstuhl und wich ihrem Blick aus. »Hab die Nerven verloren, schätze ich. Das alles war ein Schock für mich, und in meinem Alter ist das nicht allzu gut.« Er schaute zu ihr auf und zwinkerte ihr verschmitzt zu. »Aber es gibt nichts
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