Himmel über Tasmanien
konnte sie eigentlich nicht beurteilen, ob sie echt waren.
Sie prüfte die Unterschriften des Auktionators, des Repräsentanten des Victoria Turf Club und des rätselhaften Mr. Carmichael. Dann setzte sie sich und starrte eine ganze Weile aus dem Fenster. Sie war verwirrt, konnte allerdings eine gewisse Erregung nicht leugnen. Nicht jeden Tag bekam ein Mädchen ein Rennpferd geschenkt. Vielleicht hatte sie ja einen heimlichen Verehrer – denn wie war es anders zu erklären? Schemenhaft tauchten alle möglichen Theorien auf und verschwanden wieder, doch es gelang ihr nicht, sie gänzlich abzutun, obwohl ihr klar war, dass sie phantasierte.
Während Lulu mit ihren Gedanken rang und sich zum Dinner anzog, kam sie zu dem Schluss, dass es nur eine Persongab, die vielleicht eine Antwort wusste, und da diese London schon am nächsten Morgen wieder verlassen würde, durfte sie keine Zeit verlieren.
Clarice wartete in der Hotelhalle auf sie, prächtig in schwarze Seide und Perlen gekleidet, ein Glas Sherry und ein Schälchen Nüsse auf dem kleinen Tisch vor sich. Sie schaute auf, als Lulu zu ihr trat. »Das ist eine angenehme Überraschung, Lorelei, ich hätte nicht gedacht, dass du nach einer so langen Nacht kommen würdest.« Sie gab einem vorbeigehenden Kellner ein Zeichen und bestellte Lulu einen Drink. »Ich hoffe, es geht dir besser und du bist nicht zu lange aufgeblieben?«
»Mir geht es gut«, antwortete Lulu leise, nahm einen Schluck und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie süßen Sherry verabscheute.
»Der Abend war sehr erfolgreich, meine Liebe. Ich glaube, du kannst getrost behaupten, dass du London deinen Stempel aufgedrückt hast, und Bertie ist begeistert. Hast du die Zeitungen gesehen?«
Lulu war in Gedanken ganz woanders, doch sie nahm die Zeitungen, las folgsam die Rezensionen der Ausstellung sowie die Klatschspalte, die sich schwärmerisch über Bertie ausließ, seinen Empfang und die Leute der besseren Gesellschaft, die daran teilgenommen hatten.
»Grässliche Fotos natürlich, aber was soll man von der Presse schon anderes erwarten?«
Lulu warf einen Blick auf die Bilder und gab Clarice die Zeitungen zurück. »Dolly sieht glamourös aus wie immer, ich hingegen wie ein aufgescheuchtes Kaninchen und viel zu blass.«
»Bertie und ich haben uns Sorgen um dich gemacht, aber du hast dich wieder gefangen, so wie ich es vorausgesehen hatte. Die Herkunft macht sich immer bemerkbar, meineLiebe – es ist die Stärke unserer Familie, und zum Glück scheinst du sie trotz alledem geerbt zu haben.«
Lulu tat so, als würde sie am Sherry nippen, in Gedanken weit von Clarice’ unerklärlichen Ansichten über Klasse und Herkunft entfernt.
»Der ganze Wirbel scheint dich nicht sehr zu beeindrucken«, stellte Clarice fest und betrachtete sie über den Rand des Glases. »Du wirkst eher zerstreut.«
Lulu stellte den kaum angerührten Sherry ab. »Mich beschäftigt etwas, aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«
»Am Anfang, Liebes. Du weißt, ich kann mich auf Geschwätz nicht konzentrieren, wenn ich mich auf das Abendessen freue.« Sie holte eine Puderdose aus ihrer Handtasche, betrachtete säuerlich ihr Spiegelbild und trug trotzig etwas Lippenstift auf.
»Ich habe wieder etwas von Joe Reilly gehört.«
»Gewiss eine Entschuldigung«, schnaubte Clarice.
»Das dachte ich auch, aber er besteht nach wie vor darauf, dass das Pferd mir gehört, und hat sogar Beweise mitgeschickt.«
Clarice ließ den Verschluss ihrer Tasche hörbar zuschnappen. »Wahrscheinlich Fälschungen. Alles, was mit Pferderennen zu tun hat, steckt voller Korruption. Zeig mal her.«
Lulu sah, wie die Selbstgefälligkeit aus Clarice’ Gesicht wich, als sie jedes Dokument sorgfältig studierte, und als sie zum letzten kam, hatten sich ihre Lippen zu einer dünnen Linie verformt. Sie runzelte die Stirn, und ihr Unterkiefer zuckte leicht, als sie die Papiere beiseitelegte. Ohne ein Wort zu sagen, starrte sie auf einen fernen Ort jenseits der Hotelhalle. Der Sherry war vergessen.
Lulu hütete sich, sie mit Fragen zu belästigen, aber es war enttäuschend, nicht zu wissen, was Clarice dachte, und sie zwang sie kraft ihres Willens, sich zu beeilen und ihre Meinung kundzutun.
Clarice’ Antwort kam ein paar Minuten danach. »Offensichtlich ist Mr. Reilly davon überzeugt, dass dir das Pferd gehört, und man muss schon ein bisschen Mitleid mit ihm haben. Was diesen Mr. Carmichael betrifft … Ich bin nicht sicher, was
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