Himmel über Tasmanien
Clarice?«
»Ich fürchte mich vor nichts«, sagte sie und schob trotzig das Kinn vor. »Ich will nur nicht, dass du dich aufregst und Hoffnungen auf etwas setzt, das wahrscheinlich nichts weiter als ein grausamer Schabernack ist.«
Lulu spürte, wie ihre Brust eng wurde, und gab sich alle Mühe, sich zu entspannen. »Wenn es ein Schabernack ist, dann habe ich doch gewiss ein Recht zu wissen, wer dahintersteckt«, wandte sie ein. »Und die einzige Möglichkeit, es herauszubekommen, ist meine Rückkehr nach Hause.«
»Es ist nicht dein Zuhause. Warum bestehst du auf diesem kindischen Unsinn? Du bist jetzt Engländerin. Hier gehörst du hin.« Clarice atmete schwer, sichtbar wütend darüber, dass ihre Autorität in Frage gestellt wurde.
Lulu war über ihre Heftigkeit erschrocken. Diese Clarice war so ganz anders als die stets beherrschte Frau, die sie erzogen hatte – doch die untypische Gefühlsaufwallung bestärkte Lulu nur in ihrem Entschluss, ihre Meinung zu sagen und sich ausnahmsweise einmal mit Clarice auseinanderzusetzen.
»Ja, gewiss, hier lebe ich, und du hast es zu meinem Zuhause gemacht. Aber du wusstest immer, dass ich zu irgendeinem Zeitpunkt einmal auf einen kurzen Besuch zurückgehen wollte.« Lulu begann, im Zimmer auf und ab zu gehen, nicht bereit, Clarice’ wütendem Blick zu begegnen. »Dabei fehlt mir nicht einmal das Geld dafür …«
»Du dummes Gör. Hier geht es nicht um Geld . Würde ich es für klug halten, hätte ich dir die Fahrt schon längst bezahlt.« Clarice packte Lulus Arm und zwang sie, stehen zu bleiben und sie anzusehen. »Vergiss diese Dummheit, verkaufe das Pferd und basta. Du stehst kurz vor einem ungeheuren Erfolg mit deinen Skulpturen – setze nicht alles aufs Spiel, wofür du und Bertie so schwer gearbeitet habt.«
Lulus Entschlossenheit geriet ins Wanken. »Mir ist klar, dass der Zeitpunkt denkbar ungünstig ist, aber ich habe den in Auftrag gegebenen Werken noch nicht zugestimmt. Was die anderen betrifft, so bin ich sicher, dass Bertie die Gießerei für mich beaufsichtigen wird, um sicherzustellen, dass sie auftragsgemäß geliefert werden.«
»Wie kannst du nur daran denken, alles wegzuwerfen, nach allem, was ich für dich getan habe?«
Das hatte Clarice noch nie als Waffe eingesetzt. Es musste ein Zeichen dafür sein, dass sie allmählich verzweifelte – aber warum? »Ich bin durchaus dankbar für alles, was du getan hast, und dafür liebe ich dich. Aber ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich zurückmöchte, und jetzt habe ich einen Grund und die Mittel dafür. Ich werfe nichts weg, sondern verschiebe es nur. Aber ich brauche deinen Segen, bitte.«
Clarice’ Miene verhärtete sich. »Den bekommst du niemals.«
Lulu musste sich wieder setzen. Ihr Herz strengte sich an, und das Atmen fiel ihr schwer. »Und wenn ich ohne deinen Segen fahre?«
»Dann wirst du feststellen, dass du in Wealdon House nicht mehr willkommen bist.«
Ein langes Schweigen trat ein, durchbrochen nur von Lulus abgerissenen Atemzügen. Sie durchbrach die Stille als Erste. »Was befürchtest du, das ich vorfinden werde?«
»Ärger«, fauchte Clarice. »Deshalb habe ich dich überhaupt gerettet.«
»Aber wir waren uns doch schon einig, dass Gwen damit wahrscheinlich nichts zu tun hat.«
»Nichts ist sicher, solange deine Mutter betroffen ist.« Clarice hatte ihre Gefühle anscheinend wieder im Griff. »Es wäre eine Tragödie, wenn du dich wieder auf sie einlassen würdest«, fügte sie leise hinzu.
Lulu wurde plötzlich bewusst, wie viel ihre Tante ihr bedeutete, und sie ergriff ihre Hand. »Du musst mich nicht mehr beschützen, Tante Clarice«, sagte sie. »Ich bin durchaus imstande, mich mit Gwen auseinanderzusetzen.«
»Das bezweifle ich. Sie kann eine furchtbare Feindin sein, und du bist einfach nicht stark genug.« Clarice wand ihre Hand aus Lulus Griff und klingelte nach dem Gepäckträger.
»Sie hat keine Macht über mich – nicht mehr.« Lulus Worte klangen zuversichtlich, doch sie straften die ängstlichen Erinnerungen Lügen, die sie hervorriefen, und während sie eine Locke um ihren Finger wickelte, fragte sie sich, ob sie tatsächlich in der Lage war, ihrer Mutter wieder gegenüberzutreten.
»Wenn du gehst, kennst du die Folgen.«
Lulu lachte nervös auf. »Du willst mich doch nicht im Ernst aus Wealdon House verbannen?«
»Das war keine leere Drohung, Lorelei.«
Lulu versuchte es herunterzuspielen. »Du bist ziemlich melodramatisch, meinst du
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