Himmel über Tasmanien
Verletzung im Bick ihrer Schwester und schämte sich. »Du hast dir meinen Kummer angehört, und ich habe nicht einmal bemerkt, wie unglücklich du bist.«
Eunice blinzelte in die Sonne. »Alle Frauen scheinen das Talent zu haben, ihre Gefühle hinter einer Maske aus gutem Benehmen und gesellschaftlicher Etikette zu verbergen. Nur wenn wir allein sind oder in Gegenwart von uns Nahestehenden, wagen wir, die Wahrheit einzugestehen.« Mit feuchten Augen wandte sie sich an Clarice. »Ich habe mir so gewünscht, dass Gwen mich liebt, aber offensichtlich habe ich als Mutter versagt, und ich mag oder verstehe gar mein eigenes Kind nicht mehr.«
»Oh, Eunice«, seufzte Clarice.
»Es ist meine Schuld«, gestand sie und tupfte ihre Augen mit einem Taschentuch ab. »Ich war so entzückt zu sehen, wie bezaubert Lionel von seiner Tochter war, dass ich tatenlos zugesehen habe, wie er sie verwöhnte. Das Kind betet ihn an, ist blind gegenüber seinen Fehlern und betrachtet mich beinahe als Eindringling. Sie nimmt mich nur wahr, wenn er nicht da ist, aber ihre Wutanfälle bringen mich zum Zittern.«
»Ein ordentlicher Klaps auf den Hintern könnte sie kurieren«, sagte Clarice trocken.
Eunice schenkte ihr ein verweintes Lächeln. »Ich glaube, darauf habe ich nie zurückgegriffen – davon abgesehen würdedas nur zu tagelangem Schmollen führen, und jetzt mit fast dreizehn ist sie zu alt, um versohlt zu werden.«
Clarice war anderer Meinung, sprach es aber nicht laut aus. »Vielleicht sollte Lionel sie zur Räson rufen«, murmelte sie.
»Sie strahlt wie ein Honigkuchenpferd, wenn er da ist, daher bekommt er nie mit, wenn sie am schlimmsten ist. Er will einfach nicht wahrhaben, dass seine geliebte Tochter etwas falsch machen könnte, egal, was ich sage«, schloss sie verbittert ab.
»Schade, dass sie für ihre Ausbildung nicht zurück nach London gegangen ist«, murmelte Clarice vor sich hin. »Da hätte sie wenigstens Disziplin gelernt.«
»Lionel hat sich geweigert, sie gehen zu lassen.« Eunice setzte sich in den Schatten der Laube und nahm sich ein Glas gekühlte Limonade. »Mein Gott«, seufzte sie. »Ich hasse diesen Ort. Ich wünschte, ich könnte nach Hause.«
»Ich auch. Aber wir sitzen hier fest, bis unsere Männer gehen müssen, also müssen wir das Beste daraus machen.« Clarice hob ihr Glas Limonade und trank einen Schluck. »Wenigstens hast du aus Liebe geheiratet, Eunice«, sagte sie wehmütig, »und das muss dir doch ein Trost sein.«
Eunice trank aus dem Kristallglas, ihre Miene war nicht zu deuten. »Vermutlich«, erwiderte sie.
Clarice wollte schon nachhaken, als Lionel am Ende des Gartens auftauchte. Gwendoline hing an seinem Arm. Er war so elegant und gut aussehend wie immer und ließ ihr Herz höherschlagen, doch aufgrund von Eunice’ Enthüllungen ging ihr Blick unwillkürlich von ihm zu dem Mädchen an seiner Seite. Sie war in rosa-weißen Musselin gekleidet, ein dazu passender Strohhut saß keck auf ihren dunklen Locken. Sie war groß und schlank, und selbst aus der Entfernung war zu erkennen, dass sie einmal zu einer Schönheit heranwachsen würde.
Während Clarice sie näher kommen sah, merkte sie, dass die beiden vollkommen vertieft ineinander waren. Lionel lachte über etwas, was seine Tochter sagte, Gwendoline schaute bewundernd zu ihm auf. Clarice empfand plötzliche Eifersucht. Kein Wunder, dass Eunice sich in Gesellschaft der beiden ausgeschlossen fühlte.
»Guten Tag, Tante Clarice«, sagte Gwendoline, und ihre braunen Locken hüpften, als sie einen Knicks machte. »Ich war gerade bei Sabre, und Daddy sagt, ich darf ihn reiten, wenn du es erlaubst.« Sie klimperte mit den Wimpern, die braunen Augen flehentlich aufgerissen. »Bitte, sag ja, Tante Clarice, du weißt, wie wichtig mir deine Zustimmung ist.«
Clarice fiel auf, wie das Mädchen Eunice’ Begrüßung überging, und war nicht geneigt, sich von ihrem Übereifer und ihrer Schmeichelei einwickeln zu lassen. »Du musst Onkel Algernon um Erlaubnis bitten«, sagte sie kühl. »Sabre ist sein Pferd.«
Das Mädchen zuckte mit den Schultern, ignorierte Eunice weiterhin und schaute schmollend zu Lionel auf. »Du fragst ihn, Daddy, ja?«
»Natürlich, meine Kleine.« Lionel grinste und gab Clarice einen vollendeten Handkuss, die Augen lachten. »Sieht ganz so aus, als könnte ich meiner Tochter nichts abschlagen«, sagte er, »obwohl Sabre für ein so zartes kleines Mädchen wahrscheinlich viel zu schwer zu handhaben ist.«
Clarice
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