Himmel über Tasmanien
verkniff sich ihre bissige Antwort. Gwendoline mochte zwar schlank sein, doch diese Zierlichkeit kaschierte einen stählernen Kern, geschliffen in vielen Stunden auf dem Rücken von Pferden – und was das kleine Mädchen betraf … Mehr als einmal blitzte weibliche List in Gwendolines Augen auf, die für eine nicht einmal Vierzehnjährige ziemlich schockierend war - und nach Clarice’ Eindruck ein untrügliches Zeichen für heraufziehenden Ärger. Und so hob sie ob Lionels absurder Bemerkung nur missbilligend eine Augenbraue, denn schon traf Algernon mit ihren letzten Gästen ein.
Eigenartige Ruhe überkam sie, als sein gleichgültiger Blick über sie hinwegglitt und er den Finanzminister und seine Frau vorstellte. Eunice’ Enthüllungen und Gwendolines Launen bereiteten ihr viel größere Sorgen als fehlende Korsetts und Petticoats.
Clarice versuchte nicht mehr länger einzuschlafen und stieß die Bettdecke zur Seite. Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln und zog den weichen Morgenmantel über ihr Nachthemd. Als sie die Vorhänge zurückschob, merkte sie, dass es noch nicht dämmerte. Der Duft von Geißblatt strömte durch das geöffnete Fenster zu ihr herauf, aber sie atmete ihn mit weniger Freude ein als sonst.
Jener ferne Tag am anderen Ende der Welt war der Auftakt ihres Widerstands gegen Algernon gewesen. Nie wieder hatte sie ein Korsett oder Handschuhe getragen, es sei denn zu abendlichen Empfängen und Bällen, und sie hatte begonnen, jedes Buch und jede Zeitung zu lesen, die sie auftreiben konnte. Sie verbarg ihre Lektüre vor Algernon in einer Schublade im Schlafzimmer.
Mit Eunice an ihrer Seite hatte sie Konzerte besucht, Teegesellschaften und Soireen, bei denen Dichter aus ihren Werken lasen oder die Gäste von Musikern unterhalten wurden. Eigentlich waren es nur kleine Aufstände gewesen, aber sie hatten viel Mut von einer Frau verlangt, deren Vater absoluten Gehorsam gefordert hatte.
Clarice lächelte schief. Diese kleinen Auflehnungen gegen Algernons Regiment erschienen ihr damals so waghalsig, aber die jungen Leute von heute würden sie als unbedeutend abtun, denn welche junge Frau würde sich dieser Tage schon mit einer solchen männlichen Dominanz abfinden. Dennoch beneidete Clarice diese Frauen nicht um die Unabhängigkeit, für die sie eintraten, denn obwohl sie vielen zu der Freiheit verholfen hatte, ihre eigene Karriere zu verfolgen, glaubte sie, dass diese schöne neue Welt viel schwerer zu begreifen war als die alte – und dass der Bruch mit sozialen Schranken und Traditionen viele Frauen einer unsicheren Zukunft aussetzte.
Sie zog den Morgenmantel fester um sich und schauderte trotz der milden Morgendämmerung. Bis zu dem entscheidenden Augenblick vor all den Jahren war sie nie Herrin über ihr eigenes Schicksal gewesen, hatte es immer einen Herrn gegeben, der den Weg geebnet hatte. Sie hatte unter schweren Opfern gelernt, dass Freiheit etwas Berauschendes war, etwas, das einen, wenn man die Sache zu leichtnahm, auch vernichten konnte. Und auch wenn keiner von ihnen es an jenem Sommertag in Australien vermutete, so zogen sich die dunklen Wolken der Vernichtung bereits zusammen.
Die Pferderennbahn Spreyton Park in Tasmanien war erfüllt von Lärm und Farben an jenem Septembertag, der so gut angefangen hatte. Die Besitzer aus Hobart hatten mit angesehen, wie ihr dreijähriges Fohlen das offene Handicap gewonnen hatte, und wurden reich belohnt für ihre lange Anreise, als ihr Fohlen im Handicap erster Klasse einen überraschenden dritten Platz belegte.
Joe überließ sie ihrer Feier und machte sich auf den Weg zu den Ställen, in denen Bob sich darauf vorbereitete, Starstruck für den Fohlenpreis zu reiten.
»Er sieht gut aus«, murmelte Joe, »hat aber heute Nachmittag beträchtliche Konkurrenz, also lass nicht zu früh die Zügel schießen.« Er warf einen Blick auf den hübschen Wallach, der aus der Box nebenan geführt wurde, und nickte dem wieselgesichtigen Trainer einen Gruß zu. »Wenn Holt hier ist, dannrechnet er auch damit, zu gewinnen«, bemerkte er, »deshalb halte deine fünf Sinne beisammen und achte auf seinen Jockey. Er wird wahrscheinlich Unheil stiften.«
Bob, in grüner, weißer und orangefarbener Seide prächtig anzusehen, nahm die Zügel auf und versuchte, so entspannt zu wirken wie die anderen Jockeys, doch Joe sah ihm an, dass er ebenso schwitzte wie das Hengstfohlen. »Gib einfach nur dein Bestes«, sagte er, »den Rest erledigt Starstruck.«
»Dann ist sie
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