Himmel un Ääd (German Edition)
nichts
erinnerte an Sommer. Nicht mal die Touristen, die in Regenjacken und mit von
Klarsichtfolie geschützten Reiseführern Kölns Fremdenverkehrsattraktion Nummer
eins umrundeten.
»Und Sie waren
wirklich noch nie hier oben?«, fragte Brandt, als ich am neu gestalteten
Eingang zum Turm zu ihm stieß.
War ich nicht, und
ich wettete mit Brandt, dass bestimmt auch viele gebürtige Kölner den Südturm
des Domes noch nicht bestiegen hatten. Brandt jedoch war schon unzählige Mal
oben gewesen. Er kletterte nach jedem Fall, den er beendet hatte, auf den Turm.
»Als Abschluss
sozusagen. Damit ich wieder einen anderen Blick auf die Welt kriege.«
Das regnerische
Wetter sorgte dafür, dass sich die Zahl der Dombesteiger an diesem Tag in
Grenzen hielt. Eine spanische Großfamilie, die vor uns an der Kasse gestanden
hatte, überholten wir schnell vor dem Eingang des Turmes. Beherzt nahm ich die
ersten Stufen in Angriff, aber meine Beine wurden bald langsamer, und das Atmen
stach in die Lunge. Die Stufen waren verdammt hoch, und die enge Wendeltreppe
wollte kein Ende nehmen. Die Aussicht vom Dom auf die Stadt bekam man nicht
umsonst, sie musste mit einem mühsamen Aufstieg erkämpft werden.
»Stein ist kein
Material für die Ewigkeit.« Schnaufend deutete Brandt auf die Stufen, die vom
millionenfachen Rauf- und Runterlaufen in der Mitte völlig ausgetreten waren.
»Was ist schon für
die Ewigkeit?«, fragte ich mit Blick auf die dicht bekritzelten Wände, wo
Menschen aus aller Welt mit Namen oder kleinen Sprüchen an ihren Besuch
erinnerten. Schriftzüge, die verblassten oder überschrieben wurden und
spätestens in ein paar Jahren verschwinden würden. Auch ewige Liebe gab es
nicht. Viele Liebesgeschichten, nicht nur meine, endeten, ohne den
Auf-immer-und-ewig-Schwur eingelöst zu haben.
Schritt für
Schritt, immer wieder tief Luft holend, setzten wir den Aufstieg fort. Im
Glockenstuhl machten wir die erste Pause. Ich war sehr gespannt auf Brandts
Bericht. In den letzten Wochen hatte ich wie eine Wilde gearbeitet und die schrecklichen
vierzehn Tage verdrängt. Doch jetzt wollte ich wissen, was von meinen Ahnungen,
Vermutungen und Spekulationen die Morde betreffend den polizeilichen
Ermittlungen standhalten konnte.
Aber Brandt redete
nicht über den Fall, er zeigte mir den »decken Pitter«, die erste Glocke des
Domgeläuts. »Erinnern Sie sich?«, fragte er wie ein begeisterter Fremdenführer.
»Der Klöppel ist am Dreikönigstag gerissen. Der Klöppel der größten Glocke
reißt am Tag der Kölner Stadtheiligen direkt vor dem Hochamt. Wenn das den
Mystikern nicht tausend und mehr Spekulationen eröffnet! Oder den
Karnevalisten.«
Aber mich
interessierten mögliche Spekulationen von Mystikern oder Karnevalisten nicht,
mich interessierten meine eigenen. »Hat Pfeifer die beiden Frauen jetzt ermordet
oder nicht?«, platzte ich heraus.
»Sie glauben gar
nicht, wie froh ich bin, dass ich diesen Fall endlich vom Tisch habe!« Noch
schwer atmend legte Brandt seine Unterarme auf das Geländer, hinter dem die
schweren Glocken hingen. Dann begann er zu erzählen. »Was den Tod von Sabine
Mombauer betrifft, haben wir Pfeifer schnell in die Enge treiben können. Weil
wir ihren Schlüsselbund bei ihm gefunden haben, die Zeugin ihn eindeutig
identifiziert hat, seine Handyauswertung bewies, dass er als Letzter mit seiner
Cousine telefoniert hat, es seine Schlange war und, und, und.«
Wenn ich in den
letzten Wochen aus den Fenstern der »Weißen Lilie« hinaus auf den Spielplatz
geblickt hatte, dann hatte ich immer wieder Sabines Körper auf dem Boden liegen
sehen. Den nackten Fuß, in den die Kobra sie gebissen hatte. Den verrenkten
Kopf, die verdrehten Arme. Manchmal hörte ich auch ihre Stimme, die bei unserem
letzten Gespräch so hoffnungsfroh, so befreit geklungen hatte. Was für eine
Tragik, in so einem Moment sterben zu müssen!
»Hat er gesagt,
warum er Sabine umgebracht hat?«, wollte ich wissen.
»Die Frage nach
dem Warum beantworten die Täter selten eindeutig. Auch Pfeifer nicht.«
Die spanische
Großfamilie hatte den Glockenstuhl jetzt auch erreicht und drängte sich ans
Geländer. Harte rollende Rs schwirrten durch die Luft, und neugierige Kinder
versuchten, die Hände bis zu den Glocken vorzustrecken. Ich deutete nach oben,
Brandt nickte, und gemeinsam machten wir uns an die zweite Etappe des
Aufstiegs. Brandt ging voraus.
»Er war sich so
sicher, dass seine Cousine das Haus verkauft, weil er immer alles von
Weitere Kostenlose Bücher