Himmel un Ääd (German Edition)
einfach nur da. Die Sonne schien immer noch,
Vögel tschilpten, Bienen summten, von irgendwoher zog mir der Duft von Jasmin
und jungen Tannen in die Nase. So als wäre die Welt licht und leicht, als ginge
das Leben weiter. Und natürlich tat es das.
Die Schützen zogen
mit zusammengerollter Fahne an uns vorbei. Irmchen Pütz fragte, ob ich sie
mitnehmen könnte, und Sabine Mombauer blickte besorgt und fragte: »Das geht
doch klar mit dem Leichenschmaus?«
Wir müssen bei der
Polizei anrufen, dachte ich. Aber das kann warten. Eines nach dem anderen.
»Es ist alles
vorbereitet«, sagte ich. »Wir müssen nur noch Kaffee kochen.«
Und so schickte
ich Arîn und Eva zu Evas Auto, packte Irmchen Pütz in meinen Wagen und startete
den Motor.
»Nimm nicht die
Bergisch Gladbacher«, empfahl Irmchen. »Die ist immer verstopft.«
Ihrem Rat folgend
irrte ich ein wenig durch die östlichen Stadtviertel, um dann auf der Zufahrt
zur Zoobrücke in einem Messestau zu landen.
»Ich möchte so ein
Baumgrab«, erklärte Irmchen. »Am liebsten eine Linde, die duftet im Frühjahr so
schön.«
Alle warteten
schon, als ich eine halbe Stunde später den Wagen vor der »Weißen Lilie«
parkte.
Kaffee kochen,
Streuselkuchen schneiden, Schnittchen auftragen. Geübte Griffe,
Alltagsgeschäft. Nicht lange, und die Trauergäste waren mit allem versorgt.
Während Eva sich um Getränkenachschub kümmerte, ging ich zurück in die Küche,
wo Arîn am Fenster stand und hinaus auf die Keupstraße starrte, wo die Sonne
ihr lustiges Spiel mit Licht und Schatten trieb.
»Gib mir noch mal
die Zeitung«, sagte ich.
»Ich versteh das
nicht«, meinte sie, als sie mir den Express reichte. »Minka hatte doch Pläne,
die war kein Sensibelchen, die konnte sich durchbeißen. Ich bitte dich,
Katharina. Wegen eines verheirateten Typen!«
»Ein Moment
abgrundtiefer Verzweiflung? Der Wunsch, dem Schmerz ein rasches Ende zu
bereiten? Die Anziehungskraft des Wassers?«
Arîn sah mich an,
als ob ich kompletten Unsinn reden würde.
»Alle Erklärungen
dafür sind unzulänglich«, gab ich zu.
»Und was ist mit
ihrer kleinen Tochter? Die war ihr Ein und Alles, die hat sie sehr geliebt.
Hält dich die eine Liebe nicht am Leben, selbst wenn dich die andere zu vernichten
droht? Oder wiegen Lieben unterschiedlich schwer?«
Das Gewicht der
Liebe! Auf dieses Terrain wagte ich mich besser nicht. Lieber hielt ich mich an
den Fakten fest.
»Minka hatte eine
Tochter?«
»Ja. Sie muss
jetzt drei oder vier sein. Der Vater war total in Minka verknallt, wollte sie
unbedingt heiraten. Minka hat die Panik gepackt. Wollte nicht, dass ihr Leben
mit Anfang zwanzig gelaufen war. Hat dem Typen den Laufpass gegeben und das
Kind allein gekriegt. Es lebt bei Minkas Eltern in Krakau. Minka ist nach
Deutschland gegangen. Wegen des Geldverdienens, aber vor allem weil sie sich in
Massagetechniken fortbilden wollte. Sie hatte einen Traum, verdammt! Deshalb
kapiere ich nicht, dass sie wegen eines Typen derart durchdreht. Wie geht das?
Vergisst man, wer man ist? Hast du Ahnung von so was? Wolltest du dich wegen
einer Liebe jemals umbringen?«
Sie funkelte mich
an, als hätte ich ihr bisher eine wichtige Lektion des Lebens vorenthalten.
Da war sie wieder,
die Erinnerung an Spielmann. Das furchtbare Ende unserer Geschichte. Wie ich
tagelang in der Kasemattenstraße die weiße Wand angestarrt hatte. Wie ich mich
wie ein roher Klumpen Fleisch gefühlt hatte. Wie ich nicht mehr schlafen
konnte.
»Ja«, antwortete
ich ehrlich. »Es gab Momente … Aber da war ich so verzweifelt, dass mir die
Energie gefehlt hätte, es wirklich zu tun. Ein Selbstmord ist kein
Sich-fallen-Lassen, kein Hinübergleiten, sondern ein Kraftaufwand, eine
verzweifelte Bündelung von Energie. Und bei mir ging die Energie zum Glück in
eine andere Richtung. Mich packte der Trotz: Kein Mann ist es wert, dass man
sich seinetwegen das Leben nimmt.«
»Genau«,
bestätigte Arîn eifrig. »So hat das Minka bestimmt auch gesehen. Die hat gern
gelebt, die hatte keine Todessehnsucht oder so. In der Wohnung gab es keinen
Abschiedsbrief. Warum ist sie ins Wasser gegangen?«
»Wir haben in
ihrer Wohnung nach keinem Abschiedsbrief gesucht«, korrigierte ich sie. »Und
jetzt müssen wir unbedingt die Polizei anrufen. Du oder ich?«
»Du.« Wieder
drehte sie den Kopf dem Fenster zu. »Ich lass das mit der Liebe«, murmelte sie.
»Ist viel zu gefährlich.«
Während ich die
angegebene Telefonnummer wählte, betrachtete ich
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