Himmel un Ääd (German Edition)
das bemerkte auch Brandt.
»Nichts Schlimmes,
machen Sie sich keine Sorgen. Entschuldigung, ich habe mich Ihnen noch nicht
vorgestellt.« Er nannte seinen Namen und gab Arîn und Gülbahar die Hand. »Ich
hätte mir wirklich einen anderen Anlass für einen Besuch bei Ihnen gewünscht.«
Diesmal glitt sein
Blick sehnsuchtsvoll über die Batterie an Schöpfkellen und Schneebesen, die
über dem Herd hingen.
»Möchten Sie etwas
mitessen?«, fragte ich. »Oder sind vier weitere Leute am Tisch für Sie als
einsamen Esser eine Zumutung?«
»Es wäre mir eine
Freude!« Dankbar blickte er in die Runde, bezog auch Eva mit ein, die mit einem
Korb voller Brotreste aus dem Restaurant kam.
Jeder nahm sich,
was er wollte. Ein schweigsames Mahl, was uns betraf, einzig Brandt redete.
»Was glauben Sie,
wie lange ich schon davon träume, mal eine Restaurantküche von innen zu sehen.
Und ausrechnet durch diesen traurigen Mordfall geht nun mein Wunsch in
Erfüllung. Ihnen gestehe ich es gerne: Kochen und Kochgeschichte gehört meine
ganze Leidenschaft.«
Brandt schnupperte
an dem Schwarzwälder Schinken, bevor er eine Scheibe davon aufrollte und in den
Mund steckte. Eva reichte ihm das Brot, um das er bat. Gülbahar griff auch nach
dem Brot und betrachtete Brandt interessiert. Arîn verzehrte mit großer
Konzentration ihr Marzipansoufflé. Wahrscheinlich weil sie sich nicht
entscheiden konnte, ob sie Brandt zuhören oder ihre Ohren auf Durchzug stellen
sollte. Ich dagegen dachte, dass das Plaudern über Be- langloses für Polizisten
eine gute Möglichkeit war, die Zungen von Zeugen zu lockern.
»In letzter Zeit
habe ich mich sehr mit der Tradition des Leichenschmauses beschäftigt«, fuhr
Brandt fort, nachdem er den Erbsen-Wasabi-Schaum getestet hatte.
Ein
verständnisloser Blick von Gülbahar, ein irritierter von Eva, keiner von Arîn.
»Klingt
merkwürdig, ich weiß«, erklärte Brandt. »Aber für einen Polizisten doch
verständlich, oder? Wenn man mit Mord und Totschlag zu tun hat, dann ist es
tröstlich, sich mit den Ritualen der Überlebenden zu beschäftigen. Wussten Sie,
dass die Chinesen bei einem Leichenschmaus nur weiße Speisen essen? Weil für
sie Weiß die Farbe der Trauer ist. Oder dass man bei einem jüdischen Trostmahl,
dem seudat hawra'a , nur runde Gerichte serviert?
Eier, Bagels, Linsen und so weiter, weil das Runde den ewigen Kreislauf von
Leben und Tod symbolisiert. In der Ukraine isst man eine Suppe aus
Weizenschrot, Honig und Trauben. Wichtig ist, dass die Suppe noch dampft, weil
der Dampf die verstorbene Person nährt. ›Der Dampf ist für dich, das Essen für
mich‹, sagt man. ›Wo die Seele hingeht, da geht auch der Dampf hin.‹ – Oh,
langweile ich Sie?«
Trotz des Redens
bemerkte Brandt, dass Eva mehrfach auf die Uhr gesehen hatte.
»Mein Babysitter
will Feierabend machen«, erklärte sie. »Und weil Sie doch noch wollten, dass
wir uns Fotos ansehen …«
»Aber natürlich.
Wie unaufmerksam von mir«, entschuldigte er sich wieder.
War dieses ewige
Sichentschuldigen eine Taktik? Oder war Brandt auch als Polizist ein höflicher
Mensch geblieben? Ihm fehlte so jegliche Bullenraubeinigkeit.
»Ich räume den
Tisch ab«, sagte ich. »Ich kenne wahrscheinlich sowieso keinen von Minkas
Bekannten.«
Brandt wischte mit
der Serviette den Platz vor sich sauber, bevor er eine Fototasche aus der Jacke
zog und diese auf den Tisch legte. Ich stapelte Teller und Schüsseln, während
Brandt Arîn und Eva die ersten Bilder zeigte.
»Die sind alle in
der Bar des ›All-inclusive‹ aufgenommen«, erkannte Arîn und gab die ersten
Bilder an Eva weiter, ohne jemanden darauf zu erkennen. Eva schüttelte bei
allen Fotos den Kopf.
»Das sind Lotte
und Annika, die zwei bedienen dort.« Arîn deutete bei einem weiteren Foto auf
zwei brünette Mädchen, die nebeneinanderstanden und sich an den Hüften fassten.
Das
»All-inclusive« kannte ich nicht, die Menschen auf den Fotos kannte ich nicht,
also räumte ich das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine und machte mich auf
den Weg zum Kühlraum, um aufzulisten, was ich für morgen nachbestellen musste.
Ich hörte Brandt sagen, dass sie die Fotos in Minkas Nachttisch gefunden
hatten.
Sofort tauchte
wieder das Vulva-Plakat vor mir auf, das Brandt auch aufgefallen sein musste.
Ich versuchte, mir seine Reaktion darauf auszumalen, aber es gelang mir nicht.
Hatte es ihn peinlich berührt oder aufgegeilt? Oder hatte er dafür nur einen
kühlen Polizistenblick
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