Himmel un Ääd (German Edition)
gehabt? Wie sollte man einen Mann einschätzen können,
dessen Hobby es war, Mahlzeiten für Tote zu studieren? Ob er wohl auch einen
polnischen Leichenschmaus kannte?
Ich würde Brandt
später danach fragen. Den zu kochen wäre doch eine gute Möglichkeit, wie wir in
der »Weißen Lilie« von Minka Abschied nehmen konnten.
»Nein, das kann
nicht wahr sein!« Schrille, hüpfende Obertöne schmerzten meine Ohren. Ich
wusste genau, in welch unangenehmen Höhen sich Arîns Stimme verlor, wenn sie
sich aufregte oder wütend war. Ich lief zurück in die Küche.
»Katharina!«
Eva, weiß wie ein
chinesisches Totenmahl, kam auf mich zu. Sie hielt ein Foto zwischen zwei
Fingern, weit von sich weg, so als wäre es vergiftet. Ich riss es ihr aus der
Hand. Ein Blick darauf genügte, damit sich ein Schwert in meinen Bauch bohrte.
Hitze und Kälte in rasendem Wechsel, Herzstillstand. Ich wollte kein zweites
Mal hinsehen, tat es dann aber doch, weil ich nicht glauben konnte, was ich
gesehen hatte.
Ecki war immer
noch auf dem Bild. Ecki, gemeinsam mit Minka. Die zwei küssten sich.
Leidenschaftlich.
»Sie alle kennen
diesen Mann?«, fragte Brandt in die Runde.
Keine antwortete,
alle sahen nur mich an, warteten darauf, dass ich etwas sagte. Aber wie sollte
ich? Mein Herz stand nicht mehr still, es raste, gleichzeitig schnappte ich wie
eine Ertrinkende nach Luft.
»Das ist Ecki
Matuschek«, brachte ich, ich weiß nicht wie, heraus. »Er ist mein Freund.«
Wenn Brandt jetzt
seinen mitleidigen Hundeblick aufgesetzt oder wieder sein Bedauern geäußert
hätte, wäre eine Bratpfanne in seine Richtung geflogen, oder ich hätte ihn
schreiend vor die Tür gesetzt. Aber Brandt blickte mich gar nicht an. Er stand
auf, nahm mir das Foto aus der Hand und ging ohne ein Wort des Abschieds.
Auch Gülbahar
hatte sich schon unbemerkt verdrückt, dafür rührten sich Arîn und Eva nicht vom
Fleck. Ich fühlte mich, als hätte man mir alle Kleider vom Leib gerissen.
»Ihr habt es
gewusst«, kreischte ich. »Ihr wart zu feige, es mir zu sagen.«
»Katharina!« Eva,
Mitleid im Blick, kam auf mich zu, wollte mich umarmen.
»Lasst mich
allein«, brüllte ich. »Haut bloß ab!«
»Soll ich dich
nach Hause fahren?« Eva, voller Sorge.
»Ihr sollt
abhauen!«
Die zwei bewegten
sich erst, als ich nach einer Bratpfanne griff. Als sie endlich verschwunden
waren, ließ ich die Bratpfanne fallen. Ich wusste nicht mehr, was ich mit ihr
gewollt hatte. Ich wusste gar nichts mehr.
Schmerz, dunkler
als das Schwarz der Nacht. Mülheims Straßen leer. Frost in der Sommerluft.
Traurige Akkordeonklänge von irgendwoher. Das ferne Rauschen der Autos auf der
Mülheimer Brücke. Alleinsein auf immer und ewig, die Liebe verraten und
verkauft, nur noch Kummer und Sorgen, nimmer endendes Leid, die Welt durch
Untreue verseucht.
War ich
tatsächlich noch Auto gefahren in jener Nacht? Musste ich, denn ich hatte mich
irgendwann in der Kasemattenstraße wiedergefunden und erst, als der Schlüssel
in der Haustür steckte, überlegt, was ich tun würde, wenn Ecki zu Hause wäre.
Rausschmeißen auf der Stelle, großer Auftritt, opernhaft aufgeblähte Emotionen
inklusive Zahnbürstehinterherwerfen? Ein winziges Gefühl der Genugtuung
beschlich mich bei der Vorstellung, dass er winseln würde: »Kathi, tu's nicht!«
Aber Ecki war
nicht da, niemand war da. Adela und Kuno in ihrem Friedenscamp, Ecki in einer
Ich-weiß-nicht-wo-Bar, auf einem Ich-weiß-nicht-wo-Schiff, in einem
Ich-weiß-nicht-wo-Flieger. Wenn's schwierig wurde, verdrückte er sich.
Gründlich, endgültig, ich traute ihm alles zu. Was für ein Fehler, ihm nicht
immer alles zugetraut zu haben.
Minka hatte ich
ihm nicht zugetraut, eine Affäre direkt vor meiner Nase hätte ich ihm niemals
zugetraut. Das war ins Gesicht gespuckt, in den Bauch geschlagen, in die
Kniekehlen getreten.
Die Fotos im Flur
ein weiterer Schlag ins Gesicht. Wir vier beim Fondue-Essen an Neujahr, Kuno
und Ecki im Biergarten des Deutzer Bahnhofs, Ecki und ich im Stammheimer
Schlosspark, wir zwei an Karneval, Ecki als Gigolo und ich als Freiheitsstatue
verkleidet. Gigolo! Bei dieser Kostümierung hätten bei mir doch alle
Alarmglöckchen läuten sollen. Taten sie aber nicht, vertraut hatte ich dem
Mistkerl.
Bei dem Bild von
uns beiden auf der Hohenzollernbrücke schossen mir die Tränen in die Augen. Ein
namenloser Tourist hatte das Foto von uns gemacht, an dem Tag, als Ecki mir
erzählte, dass er bleiben wollte. Wir hatten uns
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