Himmel un Ääd (German Edition)
geredet. Die verfolgten mich, seit
ich vor zwei Tagen in Minkas Wohnung gewesen war. Bailaan hier, Lomi-Lomi da.
»Wat et all jit«,
hätte Curt gesagt. »Vergiss aber nicht, was dieser Chidamb-Dingsbums bei dir
suchen wollt.«
Ja, was suchte
Chidamber? Warum machte er daraus so ein Geheimnis? Ich dachte an das Plakat
über Minkas Bett und an »Die Geheimnisse der Yoni Massage«. Sex und Massage,
lag da der Schlüssel zu Chidambers Geheimnis?
»Sex«, würde Curt
sagen, »kannste für alles nehmen, deswegen ist schon mehr als einer umgebracht
worden. Vergiss aber nicht, dass du Sex auch klasse zum Erpressen einsetzen
kannst.«
Guter Gedanke,
Curt. Besaß Minka vielleicht auch kompromittierende Fotos von Chidamber? War
Minka nicht nur eine Fast-Meisterin in Lomi-Lomi, sondern eine echte Meisterin
im Fotofälschen gewesen? Und war ihr genau das zum Verhängnis geworden? Hatte
sie Chidamber erpresst und war deshalb von ihm ermordet worden? Und versuchte
Chidamber jetzt, alle Spuren zu verwischen, die zu ihm führten? War er aus
diesem Grund in der »Weißen Lilie« gewesen?
»Möglich ist
alles«, würde Curt sagen, »aber Wissen ist was anderes.«
Wie spät war es
eigentlich? Der Zeiger meiner Uhr schlich auf Mitternacht zu. Egal. Ich lief
weiter, einfach weiter, mitten hinein in ein Inferno kölscher Fröhlichkeit.
Ohne es zu wollen, war ich auf dem Rummel unter der Mülheimer Brücke gelandet,
wo auch das Festzelt des Schützenfestes aufgebaut war. Autoskooter,
Schießstände, Paradiesäpfel, gebrannte Mandeln, Schwenkgrills. Menschen dicht
an dicht, Schützen in Ausgehuniform, Familien in Feierlaune, Kinder, die schon
lange ins Bett gehörten, junge Paare mit Lebkuchenherzen, alte Trinker mit
trübem Blick, auf Krawall gebürstete Halbwüchsige, Teenager auf Freiersfüßen.
Und viele, die aussahen, als wollten sie in dieser lärmenden, fröhlichen Masse
für ein paar Stunden ihr ganz persönliches Elend vergessen.
Ich wurde
geschoben und geschubst, gedrängt und gestoppt. Im Festzelt sangen Brings von
der »Superjeilenzick«. Das Lied hatte sogar ich an Karneval schon mal
mitgesungen, und beim Mülheimer Schützenfest grölten es alle, die im Zelt und
die im Freien, und das mit so viel Inbrunst, dass man tatsächlich glauben
konnte, es habe für alle einmal eine tolle Zeit gegeben. Auf die tolle Zeit
stieß man drinnen und draußen miteinander an, dafür hakte man sich unter, dafür
schob man sich drinnen über die Tanzfläche.
Als das Stück zu
Ende war, stolperten erhitzte Gestalten aus dem Zelt, um ein wenig Luft zu
schnappen, um eine Pause vom Tanzen zu machen, um auf den nächsten Hit des
Abends zu warten. Ich bewegte mich zwischen all diesen Feierfreudigen wie ein
Marsmännchen, eher wie ein Marsfrauchen, das keine Ahnung hatte, was es in
dieser fremden Welt verloren hatte.
»Katharina! Das
Brokkoli-Patent. Erinnerst du dich?«
Er lehnte an einem
der Bierstände und winkte mich zu sich. Ich brauchte einen Moment, bis ich den
Mann zuordnen konnte. Er gehörte zu den Kölner Slow-Food-Leuten, deren
Veranstaltungen ich gelegentlich besuchte. Stimmt. Das hatte es auch mal
gegeben. Zeiten, in denen ich Veranstaltungen von Slow Food besuchen, Zeiten,
in denen ich mich mit Lebensmittelskandalen beschäftigen konnte. Das letzte Mal
war ich bei einem Vortrag gewesen, in dem es um die Patentierung von Saatgut
ging. Eine ungeheure Schweinerei, die mich umtrieb, seit mir der Zusammenhang
zwischen Saatmais und dem Bienensterben am Oberrhein klar geworden war. Bislang
sind Patente auf Saatgut und Pflanzen in Europa verboten, aber die Industrie versucht,
dieses Verbot mehr und mehr auszuhebeln, aktuell mit einer besonderen Züchtung
von Brokkoli. Was mir als Brokkoli-Hasserin ziemlich wurscht war, aber es ging
bei der Sache natürlich ums Grundsätzliche. Mit dem Mann hatte ich nach der
Veranstaltung noch darüber diskutiert. Sein Name wollte mir partout nicht
einfallen.
»Jawohl, Leute!
Wir müssen den Brokkoli retten!«, rief er den Passanten zu und erntete damit
Gelächter. Jemand rief: »Und warum nicht den Blumenkohl?«
Er war Gärtner,
fiel mir ein, aber ob er das selbst noch wusste, bezweifelte ich. Im Gegensatz
zu mir hatte er schon eine gehörige Menge Kölsch intus.
»Die Schweine von
›Plant Bioscience‹ haben es tatsächlich geschafft, ihren Brokkoli vom
Europäischen Patentamt schützen zu lassen«, flüsterte er mir verschwörerisch
zu. »Freiheit für den Brokkoli«, schrie er über den weiten
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