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Himmel un Ääd (German Edition)

Himmel un Ääd (German Edition)

Titel: Himmel un Ääd (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Glaser
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einer
Schützenuniform auf der Haut.
    »Der Schock«,
erklärte der Schütze. »Sie müssen sich setzen.«
    Er führte mich weg
von der Toten und drückte mich auf das kleine Spielplatzmäuerchen. Ein
Schüttelfrost wütete durch meinen Körper. Arme, Beine und Hände schlackerten
wirr hin und her, so als würden sie ein Eigenleben führten, so als gehörten sie
nicht zu mir. Ich fror furchtbar. Wie unter einer Glasglocke oder so, als würde
ich vor einer riesigen dreidimensionalen Leinwand sitzen, nahm ich das Treiben
um mich herum wahr.
    Ich sah, wie der
Schützenzug in der Kurve zum Stocken kam, hörte, wie Spielmannszüge und
Blaskapellen aus dem Takt gerieten, beobachtete, wie sich die Altenheimbewohner
mit ihren Rollatoren vor dem Spielplatz sammelten. Alle Möglichkeiten abwägend,
schwängerten die Pensionisten die Luft mit Gerüchten, Betroffenheit und
Sensationslust.
    Bald zerriss das
Heulen einer Sirene das Gemisch aus Dichtung und Wahrheit, und wenig später
versperrten Kranken- und Polizeiwagen, auf denen sich noch das Blaulicht
drehte, die Regentenstraße. Notarzt und Sanitäter bahnten sich einen Weg zu
Sabine Mombauer, Polizisten bellten die hartnäckig an ihren Plätzen in der
ersten Reihe festhaltenden Gaffer an, trieben sie knurrend von der Unfallstelle
weg und legten dann routiniert mit Absperrband eine Bannmeile drum herum.
    Ich konnte sehen,
wie der Notarzt sich über Sabine Mombauer beugte, in die Knie ging, damit aus
meinem Blick verschwand, irgendwann wieder hinter meinem Auto auftauchte, nach
oben deutete und in Richtung Polizei den Kopf schüttelte. Ich wusste, was das
bedeutete. Ich wusste es schon länger: tot, finito, nichts mehr zu machen.
    Zudem war mir
sonnenklar, dass sie sich nicht das Leben genommen hatte. So fröhlich und
gelöst wie heute Morgen hatte Sabine Mombauer noch nie geklungen. Außerdem
erschien es mir irrsinnig, sich zu einem Vertragsabschluss zu verabreden und
dann kurz davor Selbstmord zu begehen.
    »Sie ist nicht
gesprungen«, rief ich dem Sanitäter zu, der irgendetwas aus dem Wagen holte.
Das Klappern meiner Zähne konnte man auf der ganzen Straße hören. »Wir waren
verabredet, wir wollten zusammen einen Vertrag unterschreiben.«
    Er klemmte sich
etwas unter die Achsel, kam auf mich zu, bat ruhig um meinen Arm, fühlte den
Puls, maß danach den Blutdruck, faltete dann eine Goldfolie auseinander und
legte sie mir um die Schultern.
    »Sie stehen unter
Schock«, sagte er. »Ich sag dem Arzt Bescheid!«
    »Sie ist nicht
gesprungen!«, rief ich in das geschäftige Treiben um die Tote hinein und
wunderte mich nicht, dass zwischen Polizisten und Sanitätern plötzlich die
lange, dürre Gestalt von Brandt auftauchte. Er nickte nach rechts und links und
klopfte auf Schultern.
    »Alban«, hörte ich
einen der Polizisten sagen. »Riechst du die Selbstmörder schon?«
    Brandt zuckte mit
den Schultern und beugte sich zu dem Kollegen hinunter. Ich vermutete, dass er
sich erklären ließ, was passiert war.
    »Sie hat sich
nicht umgebracht!«, schrie ich wieder.
    Ich wollte
aufstehen, zu den Leuten hinrennen, sie aufrütteln, ihnen die Wahrheit
einprügeln, aber meine Beine trugen mich immer noch nicht. Alles in mir drehte
sich wie ein verrücktes Riesenrad. Ich stemmte mich gegen das Mäuerchen, aber
ich konnte nichts gegen den Schwindel ausrichten, genauso wenig gegen den
Zitterteufel, der durch meinen Körper fegte und ihn in ein Wechselbad von Heiß
und Kalt tauchte. Und am allerwenigsten konnte ich mein wundes Herz beruhigen,
das entweder viel zu schnell raste oder ganz auszusetzen drohte. Ich wusste
nicht mal, ob ich wirklich geschrien hatte oder ob mich jemand hören konnte.
Eingesperrt unter dieser Glasglocke sah ich hilflos dem zu, was um mich herum
geschah.
    Brandt redete
jetzt mit dem Notarzt, gemeinsam beugten sie sich hinter meinem
blutverschmierten Auto über die Tote, sie tauchten wieder auf, diskutierten
etwas, beugten sich erneut herab. Während sie noch debattierten, rollte ein
schwarzer Leichenwagen heran und schob sich zwischen die Rettungs- und
Polizeiwagen.
    Endlich kam Brandt
zu mir herüber. Ich griff nach seinem Arm, zog ihn zu mir auf das Mäuerchen
herunter und packte nach seiner Hand. Ich spürte sie, die Hand war rau und
real, ich hockte nicht mehr unter einer Glasglocke.
    »Niemand glaubt
mir«, stammelte ich fiebrig, »Frau Mombauer hat sich nicht umgebracht.«
    Brandt nickte, er
redete leise und ruhig, aber ich verstand nicht, was. Dann tauchte

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