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Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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gesagt hast. Es tut mir leid.
    Bitte. Bitte. Es tut mir leid.
    Er setzte sich aufs Bett. Er sagte kein Wort.
    Sie sagte, sie habe wirklich vergessen, dass sie den Kuchen verschenkt hatte, aber jetzt sei ihr eingefallen, dass sie es getan hatte, und es tue ihr leid.
    »Ich habe nicht gelogen«, sagte sie. »Ich hab’s vergessen.«
    »Du hast vergessen, dass du Andrew den Kuchen geschenkt hast?«, fragte er.
    »Muss ich wohl. Ich hab’s vergessen.«
    »Andrew. Du hast ihn Andrew geschenkt.«
    Ja, sagte Queenie, Ja, ja, das habe sie getan. Und sie jammerte und klammerte sich an ihn und flehte ihn an, ihr zu verzeihen.
    Na also, und Schluss jetzt mit der Hysterie, sagte er. Er sagte nicht, dass er ihr verzieh, aber er holte einen warmen Waschlappen und wischte ihr das Gesicht ab und legte sich neben sie und nahm sie in den Arm, und sehr bald wollte er auch alles andere.
    »Keine Klavierstunden mehr für Mr Mondscheinsonate.«
     
    Und zur Krönung des Ganzen fand sie dann den Kuchen.
    Sie fand ihn in ein Geschirrtuch eingewickelt und in Wachspapier gepackt, genau wie sie es in Erinnerung hatte. Und in eine Einkaufstasche getan und in der Veranda an einen Haken gehängt. Natürlich. Die Veranda war der ideale Ort, weil sie im Winter zu kalt wurde, um benutzt zu werden, aber nicht eiskalt. Daran musste sie gedacht haben, als sie den Kuchen dorthin hängte. Dass dies der ideale Ort war. Und dann hatte sie ihn vergessen. Sie war ein bisschen betrunken gewesen – so musste es gewesen sein. Sie hatte ihn völlig vergessen. Und da war er.
    Sie fand ihn, und dann warf sie ihn weg. Stan sagte sie kein Wort davon.
    »Ich hab ihn weggeschmissen«, sagte sie. »Er war noch völlig gut und mit all dem teuren Zeugs und den Früchten drin, aber ich wollte das Thema auf keinen Fall wieder zur Sprache bringen. Also hab ich ihn einfach weggeschmissen.«
    Ihre Stimme, die bei den schlimmen Stellen der Geschichte so jammervoll geklungen hatte, klang jetzt durchtrieben und voller Gelächter, als hätte sie mir die ganze Zeit über einen Witz erzählt und als wäre das Wegwerfen des Kuchens die Schlusspointe.
    Ich musste meinen Kopf ihren Händen entziehen und mich umdrehen und sie anschauen.
    Ich sagte: »Aber er hatte Unrecht.«
    »Natürlich hatte er Unrecht. Männer sind nicht normal, Chrissy. Das wirst du noch lernen, wenn du je heiratest.«
    »Dann werd ich’s nie tun. Nie heiraten.«
    »Er war bloß eifersüchtig«, sagte sie. »Er war einfach rasend eifersüchtig.«
    »Nie.«
    »Also du und ich, wir sind verschieden, Chrissy. Sehr verschieden.« Sie seufzte. Sie sagte: »Ich bin ein Geschöpf der Liebe.«
    Ich dachte, diese Worte sah man vielleicht auf Kinoplakaten. »Ein Geschöpf der Liebe.« Vielleicht auf dem Plakat eines der Filme, die in Queenies Kino gelaufen waren.
    »Du wirst ganz toll aussehen, wenn ich die Wickler rausnehme«, sagte sie. »Dass du keinen Freund hast, wirst du nicht mehr lange sagen können. Aber heute ist es zu spät, um noch auf Suche zu gehen. Morgen stehen wir mit den Hühnern auf. Wenn Stan dich was fragt, sagst du, du warst bei mehreren Läden, und sie haben sich deine Telefonnummer notiert. Sag, ein Geschäft oder ein Restaurant oder irgendwas, Hauptsache, er denkt, du bist auf Suche.«
     
    Ich wurde in dem ersten Geschäft, in dem ich es versuchte, genommen, auch wenn ich es nicht geschafft hatte, mit den Hühnern aufzustehen. Queenie hatte beschlossen, mein Haar noch anders zu frisieren und meine Augen zu schminken, aber das Ergebnis fiel anders aus als von ihr erhofft. »Du bist wohl doch mehr der natürliche Typ«, sagte sie und schrubbte alles ab und malte mir den Mund mit meinem eigenen Lippenstift an, der einfach rot war, nicht bleich schimmernd wie ihrer.
    Danach war es für Queenie zu spät, um mich ein Stück zu begleiten und in ihrem Postfach nachzusehen. Sie musste sich fürs Kino fertig machen. Es war ein Samstag, deshalb musste sie nicht erst abends, sondern schon tagsüber arbeiten. Sie holte den Schlüssel und bat mich, für sie im Postfach nachzusehen. Sie erklärte mir, wo es war.
    »Ich musste mir ein eigenes Postfach einrichten, als ich deinem Vater geschrieben habe«, sagte sie.
     
    Das Geschäft, in dem ich Arbeit fand, war ein Drugstore im Souterrain eines Wohnhauses. Ich wurde angestellt, um an der Imbisstheke zu arbeiten. Als ich hereinkam, machte ich mir wenig Hoffnung. Meine Frisur sackte in der Hitze zusammen, und auf meiner Oberlippe standen Schweißperlen.

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