Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
nirgends.
»Wenn du ihn irgendwo hingestellt hast, dann muss er irgendwo sein«, sagte Stan.
»Aber ich habe ihn irgendwo hingestellt«, sagte Queenie.
»Vielleicht warst du betrunken und hast ihn weggeworfen«, sagte er.
Sie sagte: »Ich war nicht betrunken. Ich hab ihn nicht weggeworfen.«
Aber sie ging hinunter und sah in den Mülltonnen nach. Nichts.
Er saß am Tisch und beobachtete sie. Wenn du ihn irgendwo hingestellt hast, muss er irgendwo sein. Sie geriet langsam außer sich.
»Bist du dir sicher?«, fragte Stan. »Bist du dir sicher, dass du ihn nicht einfach verschenkt hast?«
Sie war sich sicher. Sie war sich sicher, dass sie ihn nicht verschenkt hatte. Sie hatte ihn eingewickelt, damit er sich hielt. Sie war sich sicher, sie war sich fast sicher, dass sie ihn eingewickelt hatte, damit er sich hielt. Sie war sich sicher, dass sie ihn nicht verschenkt hatte.
»Na, ich weiß nicht«, sagte Stan. »Ich glaube, du hast ihn doch verschenkt. Und ich glaube, ich weiß auch, an wen.«
Queenie stockte der Atem. An wen?
»Ich glaube, du hast ihn Andrew geschenkt.«
Andrew?
Ach ja. Der arme Andrew, der ihr erzählt hatte, dass er es sich nicht leisten konnte, über Weihnachten nach Hause zu fahren. Andrew hatte ihr leid getan.
»Also hast du ihm den Kuchen geschenkt.«
Nein, sagte Queenie. Warum hätte sie das tun sollen? Sie hätte das nie getan. Sie wäre nie auf die Idee gekommen, Andrew den Kuchen zu schenken.
Stan sagte: »Lena. Lüg mich nicht an.«
Das war der Anfang von Queenies langem, unglückseligen Ringkampf. Sie konnte immer nur nein sagen. Nein, nein, ich habe den Kuchen niemandem geschenkt. Ich habe den Kuchen nicht Andrew geschenkt. Ich lüge dich nicht an. Nein, nein.
»Wahrscheinlich warst du betrunken«, sagte Stan. »Du warst betrunken und erinnerst dich nicht mehr genau.«
Queenie sagte, sie sei nicht betrunken gewesen.
»Du warst es, der betrunken war«, sagte sie.
Er stand auf, kam mit erhobener Hand auf sie zu und herrschte sie an, nicht zu ihm zu sagen, er sei betrunken gewesen, das nie zu ihm zu sagen.
Queenie schrie: »Nein, ich versprech’s. Tut mir leid.« Und er schlug sie nicht. Aber sie fing an zu weinen. Unter Tränen versuchte sie ihn zu überzeugen. Warum sollte sie den Kuchen verschenken, den sie mit so viel Mühe gebacken hatte? Warum wollte er ihr nicht glauben? Warum sollte sie ihn anlügen?
»Alle Menschen lügen«, sagte Stan. Und je mehr sie weinte und ihn anflehte, ihr zu glauben, desto kühler und sarkastischer wurde er.
»Wende ein bisschen Logik an. Wenn er da ist, steh auf und finde ihn. Wenn er nicht da ist, dann hast du ihn verschenkt.«
Queenie sagte, das sei nicht logisch. Er musste nicht verschenkt worden sein, nur weil sie ihn nicht finden konnte. Dann kam er wieder auf sie zu, so ruhig und halb lächelnd, dass sie für einen Augenblick dachte, er wollte sie küssen. Stattdessen legte er ihr die Hände um den Hals und drückte ihr für eine Sekunde die Luft ab. Er hinterließ nicht einmal Druckstellen.
»Na?«, sagte er. »Na – willst du mir etwas über Logik beibringen?«
Dann ging er sich umziehen für seine Arbeit im Restaurant.
Er redete nicht mehr mit ihr. Er schrieb ihr einen Zettel, dass er erst wieder mit ihr reden werde, wenn sie die Wahrheit sage. Das ganze Weihnachtsfest über konnte sie nicht aufhören zu weinen. Sie war mit Stan am Ersten Feiertag eigentlich bei den Griechen eingeladen, aber sie konnte nicht hin, weil ihr Gesicht so furchtbar aussah. Stan musste zu ihnen gehen und sagen, sie sei krank. Die Griechen wussten wahrscheinlich ohnehin Bescheid. Sie hatten den Krach vermutlich durch die Wände gehört.
Sie legte eine Tonne Make-up auf und ging zur Arbeit, und der Geschäftsführer sagte: »Wollen Sie, dass die Leute denken, der Film geht auf die Tränendrüsen?« Sie sagte, sie habe Nebenhöhlenentzündung, und er schickte sie nach Hause.
Als Stan an dem Abend nach Hause kam und so tat, als existierte sie gar nicht, drehte sie sich um und sah ihn an. Sie wusste, dass er ins Bett kommen und wie ein Zaunpfahl neben ihr liegen würde, und wenn sie sich an ihn schmiegte, würde er weiter wie ein Zaunpfahl daliegen, bis sie wieder wegrückte. Sie erkannte, dass er so weiterleben konnte und sie nicht. Sie dachte, wenn sie so weitermachen müsste, würde sie sterben. Sie würde sterben, geradeso, als hätte er ihr wirklich die Kehle zugedrückt.
Also sagte sie: Verzeih mir.
Verzeih mir. Ich habe getan, was du
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