Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
dasselbe.
Mopsfidel und reif für die Liebe.
Das sagt sie den ganzen Tag lang.
Mopsfidel und reif für die Liebe.
Sie kann einen verrückt machen. An anderen Tagen wieder gibt sie einem richtig Antwort.«
Wieder erinnerten mich ihre Stimme und ihr Lachen – diesmal halb unterdrückt – an Alfrida, und ich sagte: »Ich glaube, wir sind uns schon mal begegnet. Ich erinnere mich, dass Alfridas Stiefmutter und ihr Vater mal bei uns vorbeikamen, oder vielleicht war es auch nur ihr Vater mit einigen der Kinder …«
»Ach, aber das bin ich nicht«, sagte die Frau. »Sie dachten, ich wäre Alfridas Schwester? Du liebe Zeit. Man sieht mir wohl mein Alter an.«
Ich wollte ihr sagen, dass ich sie nicht gut sehen konnte, was auch stimmte. Es war Oktober, die Nachmittagssonne stand tief am Himmel und schien mir direkt in die Augen. Die Frau stand gegen das Licht, so dass ihre Gesichtszüge oder ihr Gesichtsausdruck schwer zu erkennen waren.
Sie zuckte nervös und bedeutsam die Achseln. Sie sagte: »Alfrida ist meine leibliche Mutter.«
Ihre Mutter.
Dann erzählte sie mir, nicht allzu ausführlich, die Geschichte, die sie schon oft erzählt haben musste, denn sie handelte von einem tiefgreifenden Ereignis in ihrem Leben und von einem Abenteuer, das sie allein unternommen hatte. Sie war von einer Familie im Osten Ontarios adoptiert worden; das war alles an Familie, was sie je gekannt hatte (»und ich habe sie sehr lieb«), und sie hatte geheiratet und Kinder bekommen, die schon erwachsen waren, als sie schließlich der Drang überkam, herauszufinden, wer ihre leibliche Mutter war. Keine einfache Prozedur, aufgrund der Diskretion, der früher solche Akten unterlagen (»es wurde hundertprozentig geheim gehalten, dass sie mich bekommen hatte«), aber vor ein paar Jahren hatte sie Alfrida aufgespürt.
»Wurde auch höchste Zeit«, sagte sie. »Ich meine, es wurde Zeit, dass jemand kam und sich um sie kümmerte. So viel ich kann.«
Ich sagte: »Davon hatte ich keine Ahnung.«
»Nein. Damals haben’s wahrscheinlich nicht allzu viele gemacht. Man wurde gewarnt, wenn man sich auf die Suche machen wollte, es könnte ein Schock sein, wenn man dann plötzlich auftaucht. Bei älteren Leuten, für die das immer noch starker Tobak ist. Na jedenfalls. Ich glaube nicht, dass sie was dagegen hatte. Früher vielleicht schon.«
Sie strahlte ein gewisses Triumphgefühl aus, was nicht schwer zu verstehen war. Wenn man etwas zu erzählen hat, das jemanden frappieren wird, und man hat es erzählt und es hat frappiert, dann muss ein wohltuender Augenblick der Macht entstehen. In diesem Falle war er so stark, dass sie sich zu einer Entschuldigung genötigt fühlte.
»Verzeihen Sie, dass ich nur von mir rede und nicht sage, wie leid mir das mit Ihrem Vater tut.«
Ich dankte ihr.
»Wissen Sie, Alfrida hat mir erzählt, dass sie mit Ihrem Vater eines Tages von der Schule nach Hause gelaufen ist, das war in der High School. Sie konnten nicht den ganzen Weg gemeinsam gehen, denn, Sie wissen ja, in der damaligen Zeit, ein Junge und ein Mädchen, sie wären fürchterlich gehänselt worden. Wenn er also früher Schluss hatte, wartete er einfach da, wo ihr Weg von der Hauptstraße abging, draußen vor der Stadt, und wenn sie früher Schluss hatte, machte sie es genauso und wartete auf ihn. Und eines Tages gingen sie zusammen, und da hörten sie plötzlich alle Glocken läuten, und wissen Sie, was das war? Das war das Ende vom Ersten Weltkrieg.«
Ich sagte, dass ich die Geschichte auch gehört hatte.
»Allerdings dachte ich immer, sie waren noch Kinder.«
»Wie konnten sie aus der High School nach Hause kommen, wenn sie noch Kinder waren?«
Ich sagte, dass ich gedacht hatte, sie hätten draußen auf den Feldern gespielt. »Sie hatten den Hund meines Vaters dabei. Er hieß Mack.«
»Vielleicht hatten sie ja den Hund dabei. Vielleicht ist er ihnen entgegengelaufen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie da was durcheinander gebracht hat. Sie konnte sich noch sehr gut an alles erinnern, was mit Ihrem Vater zu tun hatte.«
Daraufhin wurden mir zwei Dinge bewusst. Zum einen, dass mein Vater 1902 geboren worden war und dass Alfrida ungefähr in seinem Alter war. Deshalb war es wesentlich wahrscheinlicher, dass sie von der High School nach Hause gelaufen waren, statt auf de n Feldern zu spielen, und es war seltsam, dass ich das nie zuvor bedacht hatte. Vielleicht hatten sie gesagt, sie wären auf den Feldern gewesen, das heißt über die Felder
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