Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
nach Hause gelaufen. Vielleicht hatten sie nie gesagt, sie hätten »gespielt«.
Zum anderen war das Gefühl von scheuer Annäherung oder von Freundlichkeit, war die Harmlosigkeit, die ich noch vor kurzem in dieser Frau gespürt hatte, nicht mehr da.
Ich sagte: »Wie sich doch manches anders darstellt.«
»Ja«, sagte die Frau. »Für andere stellt es sich anders dar. Wollen Sie wissen, was Alfrida über Sie gesagt hat?«
So. Ich wusste, jetzt kam es.
»Was denn?«
»Sie hat gesagt, Sie wären schlau, aber längst nicht so schlau, wie Sie sich eingebildet haben.«
Ich zwang mich, weiter das dunkle Gesicht im Gegenlicht anzuschauen.
Schlau, zu schlau, nicht schlau genug.
Ich sagte: »Ist das alles?«
»Sie hat gesagt, Sie seien ein kalter Fisch. Das sind ihre Worte, nicht meine. Ich habe nichts gegen Sie.«
An jenem Sonntag, nach dem Mittagessen bei Alfrida, machte ich mich auf den Weg, um das ganze Stück bis zu meinem Studentenheim zu laufen. Wenn ich hin und zurück zu Fuß ging, hatte ich mir ausgerechnet, waren das ungefähr zehn Meilen, was die Wirkung der Mahlzeit, die ich gegessen hatte, wettmachen müsste. Ich fühlte mich übervoll, nicht nur von dem Essen, sondern von all dem, was ich in der Wohnung gesehen und gespürt hatte. Die beengende altmodische Einrichtung. Bills Schweigen. Alfridas Liebe, hartnäckig und unpassend und – soweit ich sehen konnte – schon allein aus Altersgründen hoffnungslos.
Nachdem ich eine Weile gelaufen war, kam mir mein Magen nicht mehr ganz so schwer vor. Ich schwor, während der nächsten vierundzwanzig Stunden nichts zu essen. Ich ging nach Norden und Westen, Norden und Westen, durch die Straßen dieser säuberlich rechtwinkligen kleinen Stadt. An einem Sonntagnachmittag herrschte mit Ausnahme der Durchgangsstraßen kaum Verkehr. Manchmal überschnitt sich mein Weg ein Stück weit mit dem einer Buslinie. Dann konnte es sein, dass ein Bus vorbeifuhr, in dem nur zwei oder drei Leute saßen. Leute, die ich nicht kannte und die mich nicht kannten. Welch ein Segen.
Ich hatte gelogen, ich war nicht mit einer Freundin verabredet. Die meisten meiner Freundinnen waren nach Hause gefahren. Mein Verlobter kam erst am nächsten Tag zurück – er besuchte auf dem Rückweg von Ottawa seine Eltern in Cobourg. Im Studentenheim würde niemand sein – niemand, mit dem ich reden musste oder dem ich zuhören musste.
Als ich über eine Stunde gelaufen war, sah ich einen Drugstore, der aufhatte. Ich ging hinein und trank eine Tasse Kaffee. Der Kaffee war aufgewärmt, schwarz und bitter – er schmeckte nach Medizin, genau, was ich brauchte. Ich fühlte mich bereits erleichtert, und jetzt begann ich mich glücklich zu fühlen. Welch ein Glück, allein zu sein. Das heiße Licht des Spätnachmittags draußen auf dem Bürgersteig zu sehen, die Zweige eines Baums, der gerade Blüten trieb und knauserige Schatten warf. Die Geräusche eines Baseballspiels zu hören, das der Mann, der mich bedient hatte, im Radio verfolgte. Ich dachte nicht an die Erzählung, die ich über Alfrida schreiben würde, jedenfalls nicht direkt, sondern an die Arbeit, die ich tun wollte und die eher daraus zu bestehen schien, etwas aus der Luft zu greifen, als Erzählungen zu konstruieren. Die Schreie der Menge drangen wie mächtige leidvolle Herzschläge an mein Ohr. Schöne, feierlich klingende Wellen, mit ihrer fernen, fast unmenschlichen Zustimmung und Wehklage.
Das war es, was ich wollte, das war es, worauf ich meinte, achten zu müssen, so wünschte ich mir mein Leben.
Trost
Nina hatte am späten Nachmittag Tennis gespielt, auf den Plätzen der High School. Nachdem Lewis seine Stellung an der Schule losgeworden war, hatte sie die Plätze eine Weile boykottiert, aber das lag fast ein Jahr zurück, und ihre Freundin Margaret – auch eine pensionierte Lehrerin, deren Verabschiedung, anders als die von Lewis, normal und feierlich gewesen war – hatte sie dazu überredet, wieder dort zu spielen.
»Gut, wenn du ein bisschen rauskommst, solange du’s noch kannst.«
Margaret war schon im Ruhestand, als sich Lewis’ Debakel ereignete. Sie hatte aus Schottland einen Brief zu seiner Unterstützung geschrieben. Aber sie war eine Person von so vielseitiger Zuneigung, so weltoffenem Verständnis und so weit verzweigten Freundschaften, dass der Brief wohl nicht sonderlich ins Gewicht gefallen war. Nur ein weiteres Beispiel von Margarets Gutherzigkeit.
»Was macht Lewis?«, fragte sie, als Nina
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