Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
Schwangerschaftskleidung ausgekommen waren. Ungefähr einmal pro Woche stärkten wir uns in meiner Küche oder in ihrer, von unseren Kindern zermürbt und manchmal vor Schlafmangel taumelnd, mit starkem Kaffee und Zigaretten und stürzten uns in eine Redeorgie – über unsere Ehen, unsere Kräche, unsere persönlichen Schwächen, unsere interessanten und schändlichen Motive, unsere früheren ehrgeizigen Pläne. Wir lasen zur selben Zeit Jung und versuchten, unsere Träume zu notieren. In einer Lebensphase, die angeblich eine reproduktive Trance ist, bei der der Verstand der Frau völlig von mütterlichen Säften überschwemmt wird, sahen wir uns trotzdem gezwungen, über Simone de Beauvoir und Arthur Koestler und
Die Cocktailparty
zu diskutieren.
Unsere Ehemänner waren überhaupt nicht in dieser Geistesverfassung. Wenn wir versuchten, mit ihnen über solche Dinge zu reden, sagten sie nur: »Ach, das ist bloß Literatur«, oder: »Du hörst dich an wie der Grundkurs in Philosophie.«
Inzwischen waren wir beide aus Vancouver weggezogen. Aber Sunny war mit Mann und Kindern und Möbeln auf normale Art und aus dem üblichen Grund umgezogen – ihr Mann hatte eine neue Stelle angetreten. Und ich war aus dem neumodischen Grund umgezogen, der große Anerkennung fand, allerdings nur flüchtig und nur in besonderen Kreisen – ich hatte Mann und Haus und alle im Laufe der Ehe erworbenen Dinge (außer natürlich die Kinder, die hin- und hergeschickt werden sollten) verlassen, um zu einem Leben ohne Heuchelei oder Gefühlskälte oder Beschämung zu finden.
Ich wohnte jetzt im ersten Stock eines Hauses in Toronto. Die Leute im Erdgeschoss – denen das Haus gehörte – waren vor zwölf Jahren aus Trinidad gekommen. In der ganzen Straße wimmelte es in den alten Backsteinhäusern mit ihren Veranden und den hohen, schmalen Fenstern, hinter denen früher Methodisten und Presbyterianer mit Namen wie Henderson und Grisham und McAllister gewohnt hatten, von braunhäutigen Menschen, die Englisch auf eine mir fremde Weise sprachen, wenn sie es denn überhaupt sprachen, und die zu allen Tageszeiten die Luft mit den Gerüchen ihrer pikant-süßlichen Küche erfüllten. Ich war glücklich mit all dem – es gab mir das Gefühl, als hätte ich es zu einer echten Veränderung gebracht, nach einer langen und notwendigen Reise fort aus dem Haus der Ehe. Aber es war von meinen Töchtern, die zehn und zwölf Jahre alt waren, zu viel verlangt, das ebenso zu empfinden. Ich hatte Vancouver im Frühjahr verlassen, und sie waren zu Beginn der Sommerferien zu mir gekommen, um plangemäß ganze zwei Monate zu bleiben. Sie fanden die Gerüche der Straße ekelhaft und den Lärm beängstigend. Es war heiß, und sie konnten nicht schlafen, nicht einmal mit dem Ventilator, den ich kaufte. Wir mussten die Fenster auflassen, und die Hinterhoffeste dauerten manchmal bis vier Uhr morgens.
Ausflüge ins Naturwissenschaftszentrum und auf den Fernsehturm, ins Museum oder den Zoo, Lieblingsgerichte in den gekühlten Restaurants der Warenhäuser, eine Bootsfahrt zum Toronto Island konnten für sie die Abwesenheit ihrer Freundinnen nicht wettmachen oder sie mit dem Zerrbild eines Zuhauses, wie ich es ihnen bot, aussöhnen. Sie vermissten ihre Katzen. Sie wollten jede ihr eigenes Zimmer, die Freiheit ihrer gewohnten Nachbarschaft, die zu Hause vertrödelten Tage.
Eine Weile beklagten sie sich nicht. Ich hörte die Altere zu der Jüngeren sagen: »Lass Mami denken, wir sind glücklich. Sonst ist sie traurig.«
Schließlich eine Explosion. Beschuldigungen, Eingeständnisse des Leidens (sogar Übertreibungen des Leidens, wie ich fand, für mich produziert). Die Jüngere jammerte: »Warum kannst du nicht einfach zu Hause wohnen?«, und die Ältere belehrte sie bitter: »Weil sie Daddy hasst.«
Ich rief meinen Mann an – der mir die nahezu gleiche Frage stellte und von sich aus zur nahezu gleichen Antwort gelangte. Ich buchte die Rückflüge um und half meinen Kindern beim Packen und brachte sie zum Flughafen. Auf dem Weg dorthin spielten wir ein albernes Spiel, das die Ältere angeregt hatte. Man musste sich eine Zahl ausdenken – 27 , 42 – und dann aus dem Fenster schauen und die Männer zählen, die man sah, und der 27 . oder 42 . Mann war dann der, den man heiraten musste. Als ich allein nach Hause kam, sammelte ich alles ein, was an sie erinnerte – ein Bild, das die Jüngere gemalt hatte, eine Glamour-Zeitschrift, die die Ältere gekauft
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