Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)
Abschied, kein Bewusstsein, dass Mike, als er an jenem letzten Nachmittag in den Laster kletterte, für immer wegfuhr? Kein Winken, kein zu mir umgewandtes – oder nicht zu mir umgewandtes – Gesicht, als der Laster, jetzt schwer beladen mit dem ganzen Gerät, zum letzten Mal unseren Feldweg hinunterholperte? Als das Wasser herausschoss – ich weiß noch, wie es herausschoss und alle sich versammelten, um davon zu trinken –, warum verstand ich da nicht, wie viel für mich zu Ende gegangen war? Heute frage ich mich, ob es Absicht war, von der Abreise so wenig wie möglich herzumachen, nicht förmlich Abschied zu nehmen, damit ich oder wir nicht allzu unglücklich und aufsässig wurden.
Es mutet wenig wahrscheinlich an, dass zu der Zeit auf die Gefühle von Kindern so viel Rücksicht genommen wurde. Kinder blieben damit sich selbst überlassen, sie zu erleiden oder zu unterdrücken.
Ich wurde nicht aufsässig. Nach dem ersten Schock ließ ich mir nichts anmerken. Der Tagelöhner neckte mich, wann immer er mich sah (»Hat dich dein Liebster sitzen gelassen?«), aber ich würdigte ihn keines Blickes.
Ich muss gewusst haben, dass Mike fortgehen würde. Ebenso wie ich wusste, dass Ranger alt war und bald sterben würde. Zukünftige Abwesenheit nahm ich hin – nur dass ich, bis Mike verschwand, keine Ahnung davon hatte, wie Abwesenheit sein konnte. Wie meine ganze eigene Welt sich verändern würde, als sei ein Erdrutsch darüber hinweggegangen und habe alle Bedeutung mit sich gerissen, nur den Verlust von Mike hinterlassen. Ich konnte den weißen Stein auf der Schräge nie wieder anschauen, ohne an ihn zu denken, und entwickelte daher eine Abneigung gegen den Stein. Ebenso gegen den großen Ast vom Ahorn, und als mein Vater ihn absägte, weil er dem Haus zu nahe kam, übertrug sich meine Abneigung auf die Narbe, die übrig blieb.
Eines Tages, Wochen später, als ich meinen Herbstmantel trug, stand ich an der Tür des Schuhgeschäfts, während meine Mutter Schuhe anprobierte, und hörte eine Frau rufen: »Mike.« Sie rannte am Laden vorbei und rief: »Mike.« Ich war sofort davon überzeugt, dass diese mir unbekannte Frau Mikes Mutter sein musste – wie ich wusste, wenn auch nicht von ihm, hatte sie sich von seinem Vater getrennt und war nicht tot – und dass die Familie aus irgendeinem Grund in die Stadt zurückgekehrt war. Ich überlegte nicht, ob diese Rückkehr nur vorübergehend oder von Dauer sein mochte, mein einziger Gedanke – ich rannte aus dem Geschäft – war, dass ich gleich Mike wiedersehen würde.
Die Frau hatte inzwischen einen etwa fünf Jahre alten Jungen eingeholt, der sich gerade einen Apfel aus einer Kiste genommen hatte, die vor dem Lebensmittelgeschäft nebenan auf dem Bürgersteig stand.
Ich blieb stehen und starrte ungläubig dieses Kind an, als hätte vor meinen Augen eine abscheuliche, eine hundsgemeine Verwandlung stattgefunden.
Ein häufiger Name. Ein blödes Kind mit Mondgesicht und schmutzigem blonden Haar.
Mein Herz klopfte mit schweren Schlägen wie schluchzende Schreie, die sich in meiner Brust ereigneten.
* * *
Sunny holte mich von der Bushaltestelle in Uxbridge ab. Sie war eine grobknochige Frau mit strahlendem Gesicht und silbrig-braunem, lockigen Haar, das zu beiden Seiten von nicht zusammenpassenden Kämmen zurückgehalten wurde. Auch wenn sie zunahm – was sie getan hatte –, sah sie nicht matronenhaft aus, sondern auf majestätische Weise mädchenhaft.
Sie riss mich in ihr Leben hinein, wie sie es immer getan hatte, und erzählte mir, dass sie gefürchtet habe, zu spät zu kommen, denn Claire hatte am Morgen ein Insekt im Ohr und musste ins Krankenhaus, damit es rausgespült wurde, dann kotzte der Hund auf die Küchenschwelle, wahrscheinlich, weil er die Reise und das Haus und das Landleben hasste, und als sie – Sunny – losfahren wollte, um mich abzuholen, zwang Johnston die Jungen, es sauber zu machen, weil sie einen Hund hatten haben wollen, und Claire jammerte, dass in ihrem Ohr immer noch was summte.
»Also was meinst du, wollen wir uns ein nettes, stilles Plätzchen suchen und uns betrinken und nie mehr heimfahren?«, sagte sie. »Aber wir müssen leider. Johnston hat einen Freund eingeladen, dessen Frau mit den Kindern nach Irland gefahren ist, und er will mit ihm los und Golf spielen.«
Sunny und ich waren in Vancouver Freundinnen geworden. Unsere Schwangerschaften hatten gut aneinander gepasst, so dass wir mit einer Garnitur
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