Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition)

Titel: Himmel und Hölle: Neun Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
Vom Netzwerk:
gelassen.
    »Warte, bis du das Haus siehst«, sagte Sunny. »Eine Bruchbude. In den Wasserrohren war eine tote Maus. Wir hatten immer wieder so Härchen im Badewasser. Das ist jetzt alles beseitigt, aber man weiß nie, was als Nächstes kommt.«
    Sie fragte mich nicht – aus Feingefühl oder aus Missfallen? – nach meinem neuen Leben. Vielleicht wusste sie einfach nicht, wie sie anfangen sollte, konnte es sich nicht vorstellen. Ich hätte ihr ohnehin Lügen erzählt oder Halbwahrheiten.
Es war schwer, mit allem zu brechen, aber es musste sein. Die Kinder fehlen mir entsetzlich, aber man muss für alles einen Preis zahlen. Ich lerne, einem Mann seine Freiheit zu lassen und selbst frei zu sein. Ich lerne, das Sexuelle leicht zu nehmen, obwohl es mir schwerfällt, denn ich habe ganz anders angefangen und ich bin nicht mehr jung, aber ich lerne.
    Ein Wochenende, dachte ich. Es kam mir sehr lang vor.
    Die Ziegelsteine des Hauses wiesen eine Narbe auf, wo eine Veranda abgerissen worden war. Sunnys Jungen stapften im Hof umher.
    »Mark hat den Ball verloren«, rief der ältere – Gregory.
    Sunny forderte ihn auf, mir Guten Tag zu sagen.
    »Tag. Mark hat den Ball über den Schuppen geworfen, und jetzt finden wir ihn nicht mehr.«
    Das drei Jahre alte Mädchen, geboren, nachdem ich Sunny zum letzten Mal gesehen hatte, kam aus der Küchentür gerannt und blieb abrupt stehen, überrascht, eine Fremde zu erblicken. Aber sie erholte sich rasch und erzählte mir: »Da war ein Viech, das ist in meinen Kopf geflogen.«
    Sunny nahm sie auf den Arm, und ich nahm meine Reisetasche, und wir gingen in die Küche, wo Mike McCallum sich Ketchup auf eine Scheibe Brot tat.
     
    »Du bist es«, sagten wir fast im gleichen Atemzug. Wir lachten, ich eilte auf ihn zu, und er ging auf mich zu. Wir gaben uns die Hand.
    »Ich dachte, es ist dein Vater«, sagte ich.
    Ich weiß nicht, ob ich so weit kam, an den Brunnenbauer zu denken. Ich hatte gedacht: Wer ist dieser Mann, der mir so bekannt vorkommt? Ein Mann, der seinen Körper leicht trug, als machte er sich nichts daraus, in Brunnen herumzusteigen. Kurz geschorenes, ergrauendes Haar, tief liegende helle Augen. Ein hageres Gesicht, freundlich, doch ernst. Eine gewohnheitsmäßige, nicht unangenehme Zurückhaltung.
    »Kann nicht sein«, sagte er. »Vater ist tot.«
    Johnston kam mit den Golftaschen in die Küche und begrüßte mich und bat Mike, sich zu beeilen, und Sunny sagte: »Sie kennen sich, Schatz. Sie kennen sich von früher. Stell dir vor.«
    »Als wir noch Kinder waren«, sagte Mike.
    Johnston sagte: »Tatsache? Ist ja kurios.« Und wir alle sagten zusammen, was ihm offensichtlich auf den Lippen lag.
    »Die Welt ist klein.«
    Mike und ich, wir sahen uns immer noch an und lachten – offenbar wollten wir einander zu verstehen geben, dass dieses Wiedersehen, das Sunny und Johnston kurios fanden, für uns ein komisch verwirrender, urplötzlicher Glücksfall war.
    Den ganzen Nachmittag über, während die Männer fort waren, trieb mich fröhliche Energie an. Ich buk einen Pfirsichkuchen zum Abendessen und las Claire etwas vor, damit sie in ihren Mittagsschlaf fand, während Sunny mit den Jungen im schlammigen Bach angeln ging, ohne Erfolg. Dann saßen wir beide mit einer Flasche Wein auf dem Fußboden im Wohnzimmer und wurden wieder Freundinnen, redeten über Bücher und nicht über das Leben.
     
    Mike erinnerte sich an ganz andere Dinge als ich. Er erinnerte sich daran, dass wir auf dem schmalen Grat eines alten Betonsockels herumspaziert waren und so getan hatten, als wäre er so hoch wie das höchste Gebäude, und wenn wir stolperten, stürzten wir in den Tod. Ich sagte, das müsse irgendwo anders gewesen sein, dann erinnerte ich mich, dass ein Sockel für eine Tankstelle gegossen worden war, die dann nie gebaut wurde, da, wo unser Feldweg in die Straße mündete. Waren wir darauf herumspaziert?
    Ja.
    Ich erinnerte mich daran, dass ich unter der Brücke laut rufen wollte, aber vor den Stadtkindern Angst hatte. Er erinnerte sich an keine Brücke.
    Wir erinnerten uns beide an die Lehmkanonenkugeln und den Krieg.
    Wir wuschen zusammen ab, damit wir uns austauschen konnten, ohne unhöflich zu sein.
    Er erzählte mir, wie sein Vater gestorben war. Er hatte sein Leben bei einem Autounfall verloren, auf dem Heimweg von einem Auftrag in der Nähe von Bancroft.
    »Leben deine Eltern noch?«
    Ich berichtete, dass meine Mutter tot war und dass mein Vater wieder geheiratet hatte.
    Irgendwann

Weitere Kostenlose Bücher