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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Gewerbegebiet. Ein Gutachten sollte klären, ob die Ansiedlung großflächiger Fachmärkte der Gemeinde und dem Altort schadete. Es kam zum Bürgerentscheid - Gärtner, Tankwart, Bäcker, Metzger, alle machten mit. Ist es »altortverträglich«? Gefährdet ein Drogeriemarkt den Altort? Mein Gott, wie spannend! Wir konnten nicht zum Bäcker und kaum in Ruhe tanken, ohne dass ein aufgebrachter Bürger ans Autofenster klopfte - ja nicht mal Hand in Hand spazieren gehen wie andere frisch verheiratete Paare. Immer wurde Stefan auf seine Politik angesprochen. Für jeden hatte er Zeit und diskutierte mit ihm.
    Und dafür liebte ich ihn ja auch. Irgendwie imponierte es mir, was mein Mann so kompromisslos durchzog.
Natürlich hätte ich mich lieber in den Studenten-cafés mit meinem frisch angetrauten Göttergatten in der Öffentlichkeit gezeigt. Die anderen Studentinnen und Studenten zogen abends um die Häuser und hingen gemeinsam in gemütlichen Biergärten ab.
    Aber Stefan verschwendete keine Minute seines Lebens. Die Studentenparty, damals am Tiergarten, hatte ihn an sein Ziel geführt, was die Findung seiner Lebenspartnerin betraf. Jetzt waren keine solchen Partys mehr angesagt.
    Wie gut, dass ich damals noch nicht wusste, dass das für die nächsten fünfzehn Jahre gelten sollte.
     
    »Konstanze, kannst du mir mal helfen?«
    Der Stationspfleger Norbert steckte seinen bulligen Schädel zur Tür der Schwesternumkleide herein. Ich hatte gerade meine zweite Nachtwache in der Neurologie in Erlangen angetreten und stellte fest, dass das zu den weniger erfreulichen Dingen gehört, wenn man Arzt werden will. Aber wie sagte Stefan immer so schön: »Da musst du durch, Konstanze. Du schaffst das!«
    Es war nachts um drei, und ich überdachte auf einmal meine Berufswahl. Inzwischen hatte ich mir einen Eindruck verschafft. Und der war komplett anders, als sich die Leute das so romantisch vorstellen.
    »Was ist los, Konstanze? Schwächelst du etwa?«
    Mir war schwindelig und schlecht. Seit achtzehn Stunden war ich auf den Beinen, und meine Schicht würde noch lange nicht zu Ende sein. Verzweiflung
keimte in mir auf. Ich rang nach Luft. Meine Beine zitterten. Nein, das schaffte ich nicht. Das war kein Beruf für mich. Ich hatte mich geirrt. Diese Hürde würde ich nicht packen.
    Schwankend hatte ich mich von der Station in die Umkleide geschleppt und war auf die schmale Holzbank gesunken. Meine Beine zitterten vor Erschöpfung, und vor meinen Augen flimmerte es. Ich fühlte meine Füße nicht mehr, die in weißen Gummilatschen steckten. Einladend lagen meine engen Jeans vor mir auf der Bank.
    Geh feiern, Konstanze!, schienen sie mir zuzurufen. Du bist jung, du bist schön, du hast das Leben noch vor dir! Warum versaust du dir hier deine Nächte? Oder geh wenigstens nach Hause. Gönn dir eine Mütze Schlaf!
    Verzweifelt schnäuzte ich in ein Papierhandtuch aus dem Spender. Ich durfte mich nicht hängen lassen, brauchte dringend einen Tritt in den Hintern! Mühsam um Fassung ringend, fummelte ich mein Handy aus der hinteren Jeanstasche. Mit zitternden Fingern gab ich die Kurzwahl ein, die Stefan mir eingerichtet hatte.
    Stefan. Nur mal kurz seine Stimme hören.
    Mein geliebter Wendelsteiner Marktgemeinderat meldete sich verschlafen.
    »Kuchenmeister?!«
    »Stefan, ich schaff das alles nicht!« Verdammt. Ich heulte doch nicht etwa? Ich wollte mich zusammenreißen!

    »Was schaffst du nicht?« Stefan schien sich aufzurichten, ich sah ihn förmlich vor mir, wie er mich mit seinen blauen Augen fixierte. Wie er ganz bei mir war, bei meinem Problem.
    Von Schluchzern unterbrochen, erzählte ich ihm, was ich in den letzten Stunden so Kurzweiliges getrieben hatte. Wie viel Erbrochenes ich aufgewischt hatte, wie viele Patienten mich um Schmerzmittel angefleht hatten und wie oft ich aus meinem Sekundenschlaf wieder herausgeklingelt worden war. Dass es doch noch andere schöne Berufe für Mädels wie mich geben müsste.
    »Ich halte das hier keinen einzigen Nachtdienst mehr aus«, heulte ich ins Handy. »Komm und hol mich hier raus!«
    »Du schaffst das, Konstanze! Ich weiß, dass sich meine tapfere Frau davon nicht kleinkriegen lässt.«
    »Ich will das aber gar nicht mehr schaffen!«, flüsterte ich erschöpft. »Das ist alles so unappetitlich und … hart!«
    Stefan war nun hellwach.
    »Du bist stark, Konstanze Kuchenmeister. Wenn nicht du, wer dann?«
    »Ich will aber nicht stark sein«, jammerte ich voller Selbstmitleid und wischte mir mit

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