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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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glitzernden Kronleuchter, die Stuckdecke … und dann mein Bräutigam, der zwei pralle Plastiktüten mit grellem Werbeaufdruck trug.
    Stolz hortete er darin sämtliche Eddingstifte, die in Hamburg auf dem freien Markt käuflich zu erwerben gewesen waren.
    »Stefan?«, fragte ich nervös. Wieso war mir plötzlich angst und bange?
    »Die sind für die Verwandten«, erwiderte Stefan und strahlte mich an. »Jeder soll nach der Hochzeit mit seinem Edding einen Gruß oder Wunsch auf unser Auto schreiben! Damit sausen wir dann in unser gemeinsames Leben.« Liebevoll drückte er meinen Arm.
    »Natürlich, Liebster.« Ich biss mir auf die Lippe. »Das ist wirklich sehr einfallsreich von dir …« Ich wollte noch mehr sagen, zum Beispiel, dass das in den Augen meiner Eltern bestimmt keine gute Idee wäre, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund blieb mein Mund geschlossen.

    Die Hochzeit verlief zunächst genauso chaotisch, wie ich sie mir vorgestellt hatte.
    Meine piekfeine Hamburger Familie und die aus Mittel- und Unterfranken angereisten Angehörigen Stefans konnten auf den ersten Blick wenig miteinander anfangen.
    Aber das hatte ich ja kommen sehen. Es ging schon mal damit los, dass Stefan Kuchenmeister katholisch und Konstanze Haber evangelisch war. Also mussten zwei kirchliche Entertainer her: einer mit der goldenen Stola über seinem weißen Gewand und der andere mit einem frisch gestärkten Beffchen über der schwarzen Robe.
    Walter Rehhagen, der Jugendfreund meines Schwiegervaters aus Wendelstein, lief während der Zeremonie mit einer hypermodernen Videokamera um die geistliche Garde herum. Dabei kam er einigen Blumenkübeln und Kerzenständern gefährlich nahe. Was wohl wäre, wenn Walter Rehhagen zu brennen anfinge? Ich spürte ein hysterisches Kichern unterhalb des Zwerchfells und erstickte es in einem vorgetäuschten Hustenanfall. Zwischendurch hielt Walter seine surrende Kamera sogar mitten zwischen das klerikale Duo, um das Brautpaar aus der günstigsten Perspektive aufnehmen zu können. Meine Mutter jedoch zischte ihn während der Fürbitten an, mit der Filmerei aufzuhören. Ich wischte mir über die Stirn.
    »Gottes Segen filmt man nicht!«
    Der mächtige Mittelfranke Walter zuckte nur mit den Achseln.

    Nach der ökumenischen Trauung standen wir ein wenig verlegen vor der Kirche herum. Aber nicht lange! Denn nun kramte der frischgebackene Ehemann begeistert seine dunkelblauen Eddingstifte aus der Plastiktüte, die die ganze Zeit unter dem rotsamtenen Höckerchen am Altar gelegen hatte. Mein Stefan verteilte die Stifte mit der großzügigen Bemerkung, dass jeder seinen zur Erinnerung an unsere Hochzeit behalten dürfe, da er sie rechtmäßig erworben und nicht geklaut hätte. Mutter verzog die Lippen zu einem schmalen Strich, und Walter nahm sich gleich zwei heraus. Mit erfrischendem Enthusiasmus forderte Stefan die gesamte piekfeine Verwandtschaft auf, uns doch jetzt etwas Originelles aufs Auto zu schreiben.
    Zuerst fand man diesen Vorschlag mehr als befremdlich. »Aigendlich wolln mer jetzt doch was essen«, frotzelte der fränkische Walter. »Ich kann mir jetzt nix ausdengn! Mit leerem Mage fällt mir wenig ein! Ein, zwei Schnäpsche, vielleischt, dass ich dann zum Dichten anfange. Goethe hat auch immer sei Schnäpsche gebraucht, gell!«
    Ich hörte, wie meine Mutter hinter mir sehr tief Luft holte.
    »Na ja …«, brachte ich hervor. »Es war Stefans Idee, und ihr würdet uns eine große Freude machen.« Hilfe suchend sah ich mich nach meinem Mann um. Mir brach der Schweiß aus. »Wir können eure Wünsche für unsere Zukunft gut gebrauchen«, versuchte ich die anderen von Walter abzulenken. »Ich meine, man kann ja nie wissen …« Flehentlich sah ich meinen Vater an.
»Bitte. Mach du den Anfang!«, formulierten meine Lippen stumm. Mein Anblick schien ihn zu erbarmen. Er war jedenfalls ein Ehrenmann und wusste die Situation zu retten.
    »Wenn es denn euer besonderer Wunsch ist«, äußerte mein Vater vornehm, »werden wir uns jetzt mal Gedanken machen.«
    Mit diesen Worten nahm der geliebte Oberindianer als Erster einen Stift, ging in seinem feinsten Smoking vor der Rostlaube von Auto in die Knie und schrieb: »Gesundheit!«
    Ich hatte nicht den Schimmer einer Ahnung, wie er darauf kam.
    Gesundheit? Ähm, ach so, klar, er hatte den alten verrosteten Diesel ja röcheln und würgen hören. Wahrscheinlich auch niesen.
    »Du sollst nicht dem Auto was wünschen, sondern uns!«, sagte ich und kicherte ganz

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