Himmel und Hölle
und jetzt halten Sie den Mund und arbeiten Sie weiter.«
Er hatte das letzte Wort. Klar.
Professor Aigner wandte sich wieder der Gebärmutter zu. »Das hilft alles nichts, die muss raus!«
Ich schloss für einen Moment die Augen, nahm einen tiefen Atemzug. Irgendwann gibt es eine Impfung dagegen, schoss es mir durch den Kopf. Irgendwann.
Keiner verzog eine Miene. Jemand kam von hinten und tupfte dem Professor den Schweiß von der Stirn. Schweigend arbeiteten wir weiter.
Wie so oft musste ich an den Menschen denken, der dort vor uns lag. Die Frau war noch keine vierzig, hatte Menschen, die sie liebten, einen Mann, der um sie bangte, ja vielleicht für sie betete. Die arme Frau, ging es mir durch den Kopf. Jetzt kann sie keine Kinder mehr kriegen. Und die Angst vor dem Krebs wird immer bleiben. Wer wird ihr das morgen sagen? Und vor allem: wie?
»Herzlichen Glückwunsch. Operation gelungen, Gebärmutter raus. Sie haben Krebs. Schauen Sie ab jetzt öfter vorbei.«
Nein, auch das macht einen guten Arzt aus: Er muss
selbst schlimme Nachrichten in positiv klingende Worte verpacken können. Hoffnung vermitteln. Lebensmut.
Die Patienten kommen ins Krankenhaus, weil es ihnen miserabel geht, weil sie unerträgliche Schmerzen haben, weil ihr Hausarzt einen furchtbaren Verdacht ausgesprochen hat.
Sie hoffen auf Besserung, auf Erlösung, auf das Okay-Zeichen.
Wenn man so einer Frau die bittere Wahrheit sagt - wird sie damit umgehen können? Wer wird sie trösten, halten, stärken? Wer wird ihr Mut machen?
Mein Stefan, dachte ich, der findet in jeder Situation die richtigen Worte. Der ist ein Fels in der Brandung. Der gibt mir Kraft - und zwar eine, von der ich gar nicht wusste, dass ich sie habe. Wir haben uns versprochen, in guten wie in schlechten Zeiten füreinander da zu sein. Puh! Gut, dass ich ihn habe für den Ernstfall. Als Ärztin werde ich das hier irgendwann schaffen. Als Patientin muss ich das hoffentlich nie.
»Kommen Sie nachher in mein Büro«, forderte Professor Aigner mich auf, als er nach einer weiteren Stunde konzentrierter Arbeit den OP verließ. »Aber beeilen Sie sich. Ich muss weg.«
»Und dann hat er was?«
»Dann hat er mir die AIP-Stelle angeboten«, jubelte ich, als ich morgens um fünf mit Stefan zu Hause in der Küche saß und heißhungrig in das Honigbrötchen biss, das er mir geschmiert hatte. Ich brauchte Zucker. Sofort. Für einen Insulinausstoß.
»Und das bedeutet?«
»Arzt im Praktikum!«
»Aber dein Praktikum hast du doch schon in London gemacht!« Stefan legte mir eine zweite Honigbrötchenhälfte auf den Teller und sah mich irritiert an. »Bei dem Wort Praktikantin denke ich sofort an Bill Clinton! Muss ich mir Sorgen machen?«
Ich musste lachen. »Stefan! Das Schnupper-Praktikum habe ich damals in London gemacht. Um zu sehen, ob die Medizin wirklich was für mich ist. Ob ich Blut sehen kann und so weiter. Ob mir die Menschen am Herzen liegen. Aber A-I-P! Das ist die Facharztausbildung!«
»Vergleichbar mit Lehrling und Geselle?«
»Ja«, rief ich ungeduldig. »Jetzt kommt mein Gesellenstück! Ich werde Frauenärztin! Gynäkologin!«
»Das ist ja großartig!« In Stefans Stimme schwang Stolz mit. Er sprang begeistert auf und umarmte mich. »Dann musst du ja nie wieder einen anderen Mann anfassen als mich.«
»Stefan …«
»Nein, das meine ich ernst, Konstanze. Ich könnte es nicht ertragen, wenn diese wundervollen zarten Hände …« Er nahm meine abgearbeiteten, rissigen Hände, die nach Sterilisationsmittel rochen, und drückte sie an seine Lippen.
»Jetzt hör aber auf!«
»Nein, im Ernst, da würde ich sterben vor Eifersucht.« Stefan schob sich ein Nutellabrötchen in den Mund und nickte. »Des isch doll, wenn du jetsch Frauenärtschtin
wirsch, da musch ich mir keine Schorgen mer machen …« Mein schokoladenverschmiertes Krümelmonster grinste mich übermütig an.
»Ja, aber ich mache das nicht wegen dir, du Gurke!« Spaßeshalber schlug ich nach ihm.
Es waren wirklich die Frauen und deren Schicksale, die mich interessierten. Die Geburten, das Glück, einem neuen Menschenkind auf die Welt helfen zu dürfen.
Es waren aber auch die lebensrettenden Operationen. Der Kampf gegen den Krebs.
Beides faszinierte mich. Auf diesem Gebiet konnte ich meinen Lebenstraum wahrmachen und helfen.
»Ich fühle das einfach, Stefan: Die Gynäkologie ist genau das Richtige für mich. Das passt einfach. Genau wie das mit dir …«
Ich sah Stefan über meine Kaffeetasse
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