Himmel und Hölle
zappelig vor Aufregung. »Wünsch uns Liebe oder Glück oder Erfolg oder meinetwegen drei Kinder!« Ich schluckte.
»Oder vier«, insistierte Stefan und legte stolz den Arm um mich.
Mir entfuhr ein schrilles Lachen.
»Das können die anderen schreiben«, beharrte mein Vater. »Ich wünsche euch beiden Gesundheit. Denn das ist die Basis fürs ganz große Glück.«
»Na gut, Gesundheit«, murmelte ich. Manchmal konnte mein Vater ein richtiger Langweiler sein.
Die anderen bekamen auch langsam Spaß an der Sache. Sie zückten ihre Stifte, berieten sich untereinander
und fingen an zu zeichnen, zu reimen, sich kreativ auf unserem alten Auto zu verewigen.
Ich sah meinem Vater nach, der bereits vom Kirchplatz schritt. Gesundheit, dachte ich, das ist doch wohl mal selbstverständlich! Wir sind jung, wir stehen am Anfang unseres Lebens, wir hatten beide nie mehr als einen Schnupfen oder ein aufgeschlagenes Knie. Warum also will mein Vater uns unbedingt etwas wünschen, das wir doch schon so lange haben, dass wir gar nicht mehr darüber nachdenken?
Damals wusste ich noch nicht, wie recht mein Vater behalten würde. Wie recht.
6
Nun war ich also eine frischgebackene Ehefrau und hieß Konstanze Kuchenmeister. In kurzzeitiger Verwirrung hatte ich noch mit dem Gedanken gespielt, mich für den Rest meines Lebens mit dem Doppelnamen »Haber-Kuchenmeister« der Lächerlichkeit preiszugeben, aber meine preußische Erziehung gebot mir, mich mit dem schönen Namen »Kuchenmeister« zu bescheiden und mich nicht unnötig wichtig zu machen.
Mitsamt unserem altersschwachen weißen Diesel Baujahr 1976, auf dem nun über hundert gute Wünsche prangten, zogen wir in ein Liebesnest am Stadtpark von Nürnberg und später in den Marktflecken Wendelstein bei Nürnberg. Es war eine winzige Wohnung mit Dachschrägen, aber für unsere junge Liebe reichte sie. Die Kohle für den Ofen mussten wir noch aus dem Keller hochschaffen. Und das 1993 nach der Wende, nicht 1945 nach dem Krieg. Während ich in Erlangen zielstrebig Medizin studierte, verbrachte mein Mann sehr viel Zeit als Marktgemeinderat in Wendelstein. Wendelstein, diese verschlafene Gemeinde im Herzen Frankens, kommt zwar nicht ganz an die Weltstadt Hamburg ran, aber ich war wild entschlossen,
dieses Fleckchen Erde lieben zu lernen. Schon allein, weil es Stefans Heimatort ist. Natürlich war auch der Dialekt dieser Menschen gewöhnungsbedürftig. Aber Stefan sprach ja auch so. Bald waren es vertraute, lieb gewordene Klänge. Mein politisch hoch motivierter Mann war fast jeden Abend auf Achse: Dienstag Fraktionssitzung, Mittwoch Stammtisch, Donnerstag Bauausschuss, Freitag Hauptversammlung beim Sportverein, Samstag Kirchweih, Sonntag Brotbackfest, Montag CSU-Stammtisch. Er war einfach kein Mann, der sich mit lauwarmen Sprüchen oder gelegentlicher Anwesenheit zufriedengab. Was er machte, machte er hundertprozentig. Oft begriff ich nicht, wie er sich überwinden konnte, zu dieser Bier trinkenden und rauchenden Altherrenriege zu gehen. Zu dieser Meute alter Männer, die sich alle schrecklich wichtig nahmen, statt unser junges Eheglück zu genießen. Das konnte doch nicht wahr sein! Wenn ich abends aus der Uni kam und mich nach einem gemütlichen Abendessen und einem Glas Wein mit meinem Mann sehnte, war er nicht da, sondern auf Sitzung.
Eines Tages fasste ich mir ein Herz.
»Das ist nichts für dich, Stefan! Das ist doch gar nicht deine Baustelle! He, du bist jung verheiratet! Lass uns ins Kino gehen, wieder auf Partys oder auch mal in ein schickes Restaurant …«
»Ich kann nicht nur am Spielfeldrand stehen und kluge Kommentare abgeben!«
Stefan klang so überzeugt, dass ich plötzlich einen Kloß im Hals spürte.
»Und deshalb musst du Abend für Abend im Wendelsteiner Rathaus verbringen?«
»Ja. Ich kann nicht anders.«
Mein Stefan verstand in solchen Dingen keinen Spaß. Aber vielleicht hatte Stefan gar nicht so unrecht. Wenn sich niemand für das Allgemeinwohl einsetzt, was wird dann aus den Menschen? Wenn alle nur noch an sich selbst denken, an ihr Privatvergnügen? Was er mir beim Renovieren erzählt hatte, waren nicht nur leere Worte gewesen. Er dachte eben nicht zuerst an sich, sondern an das Allgemeinwohl. Und eigentlich war das ganz in meinem Sinne, denn ich wollte ja auch etwas bewegen. Und das geht nun mal nicht, wenn man nach dem »Heute-keine-Lust-Prinzip« lebt. So war er eben, mein Stefan.
Also schlug er sich mit Dingen herum wie einem Fachmarktzentrum im
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