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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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der Hand über die Nase, aus der nun Rotz und Wasser liefen. »Bitte komm und hol mich.«
    »Du hältst das durch. Du kannst das.«
    »Nein! Ich will schlafen!«
    »Hör mir zu, Konstanze«, kam seine tiefe Stimme
beruhigend aus dem Handy. »Setz dich hin und hör mir zu.«
    Ich hockte mich erneut auf die Bank.
    »Schließ die Augen. Hast du die Augen zu?«
    »Ja.«
    »Was willst du erreichen, Konstanze? Was ist das Ziel dieses Weges, der gerade so dornig und steil ist?«
    »Stefan, ich … Ich bereue es, hier mit siebenundzwanzig Jahren meine Jugend in Nachtwachen zu verplempern! Ich will nicht länger in einem ätzenden Kittel und in Plastiklatschen durch die Gänge eiern und wegputzen, was aus sämtlichen Körperöffnungen kommt …«
    Inzwischen stand Norbert rauchend in der Tür der Umkleide und gab mir Zeichen. Mit dem Handy telefonieren ist im Krankenhaus verboten. Weil es die Apparate stören kann. Aber ich dachte nur: Weiß ich doch alles selbst, Mann! Sollen die Maschinen auf der Intensivstation ruhig Störfrequenzen kriegen. Mir doch egal!
    »Nein. Du bist stark.« Stefan sprach mit ganz tiefer Stimme. »Du lässt dich nicht hängen.«
    »Doch!«
    Norbert verschwand achselzuckend.
    »Nenn mir das Ziel!«
    »Das weißt du doch! Ich will Ärztin werden!« Ich schnäuzte mich in ein Papiertaschentuch und schluchzte noch einmal nach. Schon allein Stefans Stimme hatte die Panikattacke verscheucht.
    »Wie fühlt sich das an, Ärztin zu sein?«

    »Großartig! Es ist einfach … fantastisch. Aber Stefan, es ist noch so weit weg, ich werde es nie schaffen!«
    »Stopp!!! Du BIST am Ziel. Träum dich dorthin. Du bist Ärztin. Du bist Frau Dr. Kuchenmeister. Du hast eine eigene Praxis. Die Patientinnen sitzen im Wartezimmer. Es ist brechend voll. Los, weiter! Welche Pflanzen stehen im Eingangsbereich?«
    »Pflanzen? Stefan, ich hocke hier auf einer elenden Plastikbank in einem Umkleideraum, habe noch Spritzer von Erbrochenem am Kittel, und mein Magen schreit vor Hunger, obwohl mir total schlecht ist …«
    »Große Zimmerpflanzen schmücken die Räume. Geschmackvolle Ölgemälde hängen dort. Fünf Schwangere sitzen da, voller Vorfreude. Du wirst ihnen gleich sagen, wie es um ihre Babys bestellt ist …«
    »… Ich habe das allerneueste Ultraschallgerät. Mit dem kann ich Komplikationen im Frühstadium erkennen«, fuhr ich fort. »Die Auflösung ist so hoch, dass es im Ernstfall noch Hilfe für Mutter und Kind gibt. Ich kann helfen.«
    »Was ist das für ein Gefühl?«
    Ich öffnete den Mund, um ihm zu antworten, aber ich brachte nur ein trockenes Schluchzen heraus. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte mich.
    »Eine Patientin kommt nach Wochen von ihrer Behandlung zurück und umarmt dich«, nahm Stefan den Faden wieder auf. »Sie haben mir das Leben gerettet, Frau Dr. Kuchenmeister, weil Sie mich von der Krebsvorsorgeuntersuchung überzeugt haben!«

    »Aber bis dahin dauert es noch so schrecklich lange«, jammerte ich weiter. »Diese anstrengenden Jahre packe ich einfach nicht.«
    »Stopp! Augen zu! Du bist in der Südsee!«, hörte ich Stefans Stimme an meinem Ohr.
    Ich schloss die Augen und drückte das Handy noch fester an meine Wange. »Du bist Schiffsärztin. Einmal im Jahr fährst du für ein paar Wochen auf der MS Europa um die Welt. Spürst du den warmen Wind auf deiner Haut? Siehst du diese unbeschreiblichen Farben? Türkis, Blau …«
    Na ja. Wenn ich die Augen aufmachte, sah ich das allerscheußlichste Grau von den Garderobenschränken, in Kombination mit kackbeigem Linoleum.
    »Du hast etwas ganz Tolles erreicht, Konstanze. Sag es mir! Was hast du erreicht?«
    »Dass ich gleich kotze?«
    »Augen zu! Sonst funktioniert das Spiel nicht! Du hast erreicht, dass der Krebs bekämpft werden kann, Konstanze. Du bist eine Spezialistin dafür. Träum es. Los! Träum es! Bist du noch dran?«
    »Ja. Ich kann dem Krebs vorbeugen. Mithilfe einer Impfung. Es gibt Hilfe. Ich habe dazu beigetragen. Frauen müssen nicht mehr sterben. Wir impfen in Afrika, in Potsdam, in Evanston …«
    »DAS ist das Ziel, Konstanze«, schärfte Stefan mir ein. »Das und nichts Geringeres. Was ist das für ein Gefühl?«
    »Ein wunder-wunderbares Gefühl«, seufzte ich auf. »Es ist das Ziel meiner Träume!«

    »Du BIST am Ziel deiner Träume«, sagte Stefan zärtlich. »Bald. Dafür ist kein Weg zu hart, oder?«
    »Nein. Dafür nicht.«
    »He, Konstanze, kannst du deine Privatgespräche endlich mal beenden?« Norbert

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