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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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steckte seinen rasierten Schädel erneut zur Tür herein. »Ich habe jetzt lange genug gewartet. Geht’s wieder?«
    »Ja, klar«, sagte ich und drückte einen Kuss auf das Handy. »Danke, Stefan!«
    »Du schaffst das, Konstanze!«
    »Auf Station vier hat sich einer die Schläuche rausgerissen«, sagte Norbert, der bereits vor mir her trabte. »Und auf der drei hat jemand die Bettpfanne verfehlt. Aber knapp vorbei ist auch daneben …«
    »Ich werde es schaffen«, murmelte ich gebetsmühlenartig, während ich die Schultern straffte und das Kreuz durchdrückte - so wie ich es zu Hause bei Muttern gelernt hatte. »Ich werde es schaffen!«
     
    Keine zwanzig Minuten später war Stefan da, obwohl es mitten in der Nacht war. Er hatte den uralten, abgeliebten Elefanten aus seiner Kindheit unterm Arm.
    »Hier!«, sagte er schlicht. »Der Kleine leistet dir ab jetzt Gesellschaft. Elefanten haut nichts um. Schau ihn immer an, wenn du wankelmütig wirst.« Sein Blick war zärtlich, aber ohne jedes Mitleid.
    Ich legte die Hand auf meine Magengrube. Wann hatte ich das letzte Mal etwas gegessen?
    »Nimm mich mit, Stefan!«, bettelte ich. »Ich bin groggy, ich bin für so was einfach nicht gebaut!«

    Stefan wischte mir die Tränen ab und legte dann zwei Finger unter mein Kinn, genau wie damals in London, als wir mein grässliches Zimmer renoviert hatten und er über wahre Begeisterung und Engagement gesprochen hatte.
    »Du kannst, Konstanze«, sagte er, und seine dunklen Augen zwangen mich, ihn anzusehen. »Wenn nicht du, wer dann?«

7
    »Nicht schlecht. Sie haben Talent, Frau Kuchenmeister!«
    Professor Aigner warf mir einen anerkennenden Blick über seinem grünen Mundschutz zu. Er war gute fünfzig, hieß mit Vornamen Herwig und war Chefarzt der Universitäts-Frauenklinik in der Oberpfalz. Der große Professor Aigner war ein begnadeter Diagnostiker, ein fantastischer Operateur auf dem Gebiet der Gynäkologie und als solcher weit über die Grenzen seines Fachbereichs hinaus bekannt. Seine dichten weißen Haare waren stets perfekt gescheitelt. Da er Hunderte von Eingriffen pro Jahr durchführte, hatte ich bereits ausreichend Gelegenheit gehabt, ihm bei seinen Operationen zu assistieren. Dabei führte er die Studenten so manches Mal bis an ihre Grenzen. Trotzdem - oder vielleicht genau deswegen? - waren sämtliche weibliche Wesen auf seiner Station, seien es nun Ärztinnen oder Patientinnen, Schwestern oder Putzfrauen, in ihn verliebt.
    Außer mir, natürlich. Ich liebte ja Stefan.
    Trotzdem errötete ich heftig über dieses unerwartete Lob, hielt ich doch schon seit zwei Stunden und dreiundvierzig Minuten einen Darm aus dem Weg, damit
der Meister ungestört vor sich hin schnippeln konnte. Wie bei allen Bauchoperationen war dieser Darm übrigens leer. Dafür sorgen die Schwestern am Tag vor der Operation. Die Patientin muss SIEBEN Liter »Lavage« trinken, und dann läuft sie bis zu zwanzig Mal auf die Toilette, bis nur noch klares Wasser kommt. Trotzdem ist so ein Darm nicht gerade handlich. Aus dem Weg halten, ruhig halten, Klappe halten - so lautete die Devise.
    Ich war nur eine arme kleine PJlerin - aber er, Gottvater höchstpersönlich, nahm mich wahr. Und zwar positiv.
    »Oh«, sagte ich nur und sah ihn überrascht an. Für einen weiteren Dialog blieb sowieso keine Zeit. Der Chefarzt zog gerade sein Skalpell durch die Gebärmutter, an deren Rändern er Krebs entdeckt hatte. Wahnsinn, wie dieser Mann operierte. Mit welch zielstrebiger Präzision er seine Schnitte setzte! Wenn ich ihm zuschaute, wurde immer öfter der Ehrgeiz in mir wach: Das kann ich vielleicht irgendwann auch! Gelernt ist gelernt! Jedes tapfere Schneiderlein fängt mal klein an!
    »Die Zeiten, in denen Sie am offenen Bauch umgekippt sind, sind wohl endgültig vorbei«, murmelte der Professor in seinen Mundschutz hinein, nachdem er mit dem Schnitt fertig war. Das war nett gemeint, und ich freute mich auch darüber, wollte aber unbedingt das letzte Wort haben.
    »Chef, das war bei der Kokardenplastik, als Sie Brust und Brustwarze umschnitten, um der Frau den Busen
zu straffen. Da ist mir halt kurz übel geworden.« Wahrscheinlich allein schon deshalb, weil es Frauen gibt, die sich die Brustwarze freiwillig abschneiden und wieder annähen lassen. Zu Schönheitszwecken.
    »Das lag nur daran, dass Sie wieder mal nichts gefrühstückt hatten«, widersprach der Professor unwirsch. »Anständige Stützstrümpfe und was im Magen, dann stehen Sie jede OP durch. So,

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