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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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hohen Räume. Gierig sog ich die Luft ein, die allerdings etwas muffig roch. Raus mit dem Mief! Energisch sprang ich auf und streifte durch die anderen Räume.
    Hier könnte ich schalten und walten, den Patientinnen Hoffnung geben und Halt. Hier würde ich mir Zeit für sie nehmen, sie beraten und aufklären. Genau hier. In der Goldschlägerstadt Schwabach mit ihren vierzigtausend Einwohnern. Das sind an die zwanzigtausend Frauen, da würde sich schon die eine oder andere zu mir verirren.
    »Aber Ihre beiden Kinder sind noch sehr klein«, wandte die Witwe ein, die soeben mit meinem auf sie einredenden Stefan um die Ecke bog. Sie runzelte ihre ohnehin schon sorgenvolle Stirn und musterte mich fassungslos.
    »Eben drum.« Stefan wirbelte herum und sah mich stolz an. »Sie weiß, wovon sie redet!«
    Trotzdem wandte die alte Dame zögerlich ein: »Eigentlich sähe ich die Praxis lieber in Männerhänden.«
    Jetzt kam aber Leben in meinen Stefan! »Aber warum denn? Frauen gehen viel lieber zu einer Frau, wenn es um solche intimen Dinge geht!« Er zeigte vage zwischen seine Beine, und es entstand eine kleine verlegene Pause.
    Ich presste die Lippen zusammen und schüttelte kaum merklich den Kopf.
    Woher Stefan den Mut nahm, das ausgerechnet der Witwe eines soeben verstorbenen Gynäkologen zu sagen, weiß ich auch nicht. Ich versetzte ihm einen
unauffälligen Tritt. Der Witwe gegenüber rang ich mir ein verschmitztes Lächeln ab. »Tatsächlich gehen immer mehr Patientinnen zu einer Frau Doktor! Man kann da einfach offener sprechen!«
    Die alte Dame zuckte ratlos mit den Schultern. Als wäre ich Luft, wandte sie sich wieder an Stefan.
    »Ja, und wann kommt Ihr Jüngster in den Kindergarten? Ich hätte die Praxis nämlich gern so schnell wie möglich verkauft!«
    Ein Mitbewerber, der ebenfalls scharf auf diese Praxis war, näherte sich bereits über den Gartenweg, um der Witwe Kondolenzblumen zu überreichen.
    »Sie hören dann von mir«, wollte die Witwe uns vertrösten.
    Da kannte sie meinen Stefan aber schlecht! Mit solchen Floskeln gibt der sich nämlich nicht zufrieden. »Liebe Frau Thaler: Hören Sie auf Ihr Herz. Wir brauchen eine Entscheidung. Hier und jetzt!«
    Der Mitbewerber schlug die Hacken zusammen und dienerte: »Dr. Girtz. Mein Beileid. Ich kannte Ihren lieben Gatten von gemeinsamen Schachspielabenden. Er war ein kluger Kopf. Aber gewonnen habe immer ich. Geben Sie mir die Praxis, bei mir ist sie in besten Händen!«
    »Geben Sie sie Konstanze!«, ging Stefan dazwischen.
    Ich fuhr nervös mit der Zunge über meine trockenen Lippen.
    Die arme Witwe war plötzlich völlig überfordert. Ihr Verblichener war noch nicht mal unter der Erde, da spielten sich hier bereits dramatische Szenen ab!

    »Komm, Stefan!«, sagte ich und zog meinen Liebsten hinter mir her. »Professor Aigner lässt mich sowieso nicht gehen.«
    Stefan hielt mich auf Armeslänge von sich ab und sah mir ganz tief in die Augen.
    »Es gibt Momente im Leben, Konstanze, da muss man kämpfen.«
    »Es soll einfach nicht sein!« Resigniert wandte ich mich ab und blinzelte eine Träne weg. »Es gibt einfach zu viele Hindernisse. Die Kinder. Die Kassenärztliche Vereinigung. Der … Girtz. Professor Aigner«, zählte ich laut an den Fingern ab. »Komm, wir gehen nach Hause.« Mir versagte die Stimme.
    Mit zwei Schritten hatte mich Stefan eingeholt. Er drehte mich an den Schultern um und sah mich mit seinem Hypnoseblick an. Wenn er diesen Blick draufhatte, hörte das Gras auf zu wachsen.
    »DU bist für dein Leben verantwortlich, Konstanze! Nicht die Witwe, nicht der Girtz, nicht der Professor und auch nicht die Kassenärztliche Vereinigung. Nur DU!«
    »Der Girtz bekommt die Praxis, du wirst schon sehen!«
    »Du bekommst die Praxis. Und sonst niemand.«
    Inzwischen saßen wir wieder im Auto und waren schon unterwegs zu Professor Aigner. Ich hatte Bauchweh vor Angst.
    »Wir packen das, Konstanze. Wir ziehen das durch! Du willst die Praxis. Sag es: Ich will die Praxis, ich will die Praxis, ich will die Praxis!«

    »Ich will die Praxis«, wimmerte ich kleinlaut auf dem Beifahrersitz.
    »Dann KÄMPFE dafür!« Stefan trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen.

18
    Wenn man im alten Rom zwei Löwenmännchen aufeinander los ließ, war das Publikum begeistert. Brot und Spiele nannte man das. Mitunter wurden zwischen den beiden Alpha-Tieren auch noch ein paar wehrlose Menschen zerfetzt. Genau so fühlte ich mich

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