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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Schwabach angewiesen! Wir hatten alles auf eine Karte gesetzt! Ich MUSSTE sie bekommen! Meine Finger umklammerten das Telefonkabel und flochten daraus unentwirrbare Knäuel.

    Aber da sprach die Witwe bereits die erlösenden Worte:
    »Ich habe mich für Sie entschieden!«
    »Ach … wirklich? Das ist ja … Danke, Frau Thaler!«
    Ich wusste es. Ich HATTE es gewusst! Wie oft hatte Stefan mir eingebläut: Wenn man etwas wirklich will, dann muss man es visualisieren, dann muss man es fühlen, schmecken, riechen, ganz tief verinnerlichen … und dann wird es auch Wirklichkeit. Ich hatte das oft genug für Guru-Geschwafel aus Männer-Seminaren gehalten, aber offensichtlich schien es zu funktionieren!
    »Wieso … ich meine, warum ist die Wahl auf mich gefallen?«
    Mir versagte die Stimme. Tränen liefen mir wie Sturzbäche aus den Augen. Ich biss mir auf die zitternde Unterlippe.
    »Sie haben mich einfach menschlich überzeugt.«
    »Ich oder mein Mann?«
    »Sie beide. Sie sind ein starkes Team. An Ihnen kommt man ja gar nicht vorbei. Bei aller Trauer um meinen Mann muss ich Ihnen auch gestehen: Wenn man so pralles Leben vor Augen hat wie bei Ihnen beiden - und ich meine damit auch Ihre Energie, Ihren Willen, Ihre Zielstrebigkeit und Ihre unverrückbaren Ideale -, dann wird einem ganz warm ums Herz.«
    Ich unterdrückte mühsam ein Jubeln und Schluchzen. Stefan hatte recht gehabt! Er hatte wieder einmal recht gehabt!
    Dann fragte die Witwe: »Haben Sie schon eine Sprechstundenhilfe?«

    »Nein!«, rief ich ganz verdattert. »Können Sie mir eine empfehlen?«
    »Ich würde Ihnen gern selbst fürs Erste in der Praxis zur Seite stehen. Schließlich habe ich mit meinem Mann dreißig Jahre lang zusammengearbeitet, und ich kenne die Patientinnen mit ihren großen und kleinen Nöten.«
    »Oh, Frau Thaler, das ist eine wunderbare Idee!«
    Nun heulte und lachte ich gleichzeitig. Mein Stefan hatte wieder mal überzeugt. Er kann penetrant sein bis zum Gehtnichtmehr, lässt aber alle Zweifler und Zauderer dieser Welt richtig alt aussehen.
    »Das Problem ist nur …«, hob Frau Thaler in einer Tonlage an, die mir gar nicht gefiel.
    »Macht der Kollege Girtz Stress? Der soll meinen Mann mal näher kennenlernen!«
    »Die endgültige Entscheidung liegt bei der KV.«
    »Bei der Kassenärztlichen Vereinigung?«
    »Sie wissen ja, wie schwierig diese Gremien sind«, sagte die Witwe seufzend.
    »Ja.« Ich atmete scharf aus. »Andere behaupten: Es gibt nur zwei Regeln. Erstens: Die KV hat immer recht. Zweitens: Wenn sie einmal nicht recht hat, gilt Paragraf eins.«
    Die Witwe kicherte ein wenig. »Ich habe da eine Strategie«, vertraute sie mir an, und ich hörte förmlich, wie sie die Hand schützend um die Sprechmuschel legte. »Sie machen ab dem ersten Oktober erst mal die Praxisvertretung für ein Quartal. Dann haben wir schon mal einen Riesenvorsprung. Haben sich die
Patientinnen erst mal an Sie gewöhnt, wird die KV Ihnen die Sache wohl nicht mehr vermiesen.«
    »Sie sind fantastisch, Frau Thaler! Danke, dass Sie das so kollegial übergeben!«
    So unterzeichneten wir den Praxisübernahmevertrag. Darin regelten wir, dass ich zunächst als Praxisvertreterin arbeitete und die Praxis bei Zulassung durch die KV später ganz übernahm.
    Vier Tage später hatte Stefan seinen siebenunddreißigsten Geburtstag. Er wollte die Praxisübernahme groß im Freundeskreis verkünden und feiern, doch die eigentliche Geburtstagsüberraschung brachte ich aus der Praxis mit nach Hause: Baby Nummer drei … und vier. In der Handtasche befand sich der positive Schwangerschaftstest, und auf dem Beifahrersitz lagen die Windeln für Konstantin. Am ersten Tag in meiner neuen Praxis wurde mir klar: Ich erwartete Zwillinge.
    Wie sollte ich das jetzt nur alles unter einen Hut bringen? Es würde gehen. Es MUSSTE gehen. Bis jetzt war immer alles gegangen.
    Ich schaute in den Spiegel und sah eine lächelnde, glückliche Frau Doktor, die sich gerade tatendurstig die Hände wusch.
    »Frau Thaler? Los geht’s! Holen Sie schon mal meine erste Patientin rein!«

19
    Und so arbeiteten wir zusammen, die nette alte Witwe und ich.
    Sie war eine wunderbar einfühlsame, gebildete Dame und eine fantastische Sprechstundenhilfe. Die Patientinnen waren an sie gewöhnt - und an mein neues junges, frisches Gesicht gewöhnten sie sich gerne und schnell.
    Eine mit Zwillingen schwangere Gynäkologin bleibt natürlich in einer Kleinstadt nicht unerwähnt. Mein Bauch war meine beste

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