Himmel und Hölle
ich mich mit einem neuen Trottel herumärgern? Schließlich werde ich in der kommenden Woche sechzig! Irgendwann muss ich mich doch auch mal auf jemanden verlassen können!«
»Aber nicht auf Konstanze! Die hat bei Ihren unzähligen Operationen und Hunderten von Geburten stets bei Fuß gestanden! Und wann kommen Kinder normalerweise auf die Welt? Fast immer nachts! Gucken Sie sich das Mädchen doch mal an!«
»Sie wollte das! Sie kann das! Durch die regelmäßige Teilnahme an den gynäkologisch-radiologischen Klinik-Konferenzen hat sie auch die Diagnostik von Brusttumoren erlernt, sei es nun durch Röntgenuntersuchungen oder Sonographien! Meinen Sie, ich hätte die Geduld, da noch mal mit einem anderen bei null anzufangen?
« Der Professor schnaubte. »Sie kann das alles, ohne dass man ihr noch ein Wort erklären muss!«
Das interessierte Stefan wenig. Mitleidslos zog er einen Schrieb aus seiner Aktenmappe, den er zu Hause bereits vorbereitet hatte.
»Ich habe einen Textvorschlag vorbereitet! Hier! Sie brauchen nur noch zu unterschreiben!«
»Ich denke nicht daran!«
»Das ist die Chance ihres Lebens! Wie können Sie bloß so gefühllos sein!«
Ich zuckte bei jedem Wortwechsel erneut zusammen, aber es gab keinen anderen Ausweg.
»Gerade weil ich NICHT gefühllos bin, lasse ich sie nicht gehen!«
Das brachte meinen Stefan erst recht in Fahrt. Er beugte sich über den Schreibtisch, und ich sah förmlich vor mir, wie er meinen hochverehrten Professor am Kittelkragen packte. »Oh doch! Meine Frau bekommt ihre eigene Praxis! Und SIE machen ihr diese Chance nicht kaputt!«
Da steckte ich meinen verheulten Kopf noch einmal zur Tür herein und wimmerte: »Bitte, Herr Professor! Lassen Sie mich gehen! Sonst habe ich für den Rest meines Lebens Stress mit Stefan!«
Der Professor sah mir ins Gesicht.
»In Gottes Namen: Wenn Sie es wirklich wollen, dann gehen Sie eben!« Mit donnernden Schritten umrundete er den Schreibtisch und riss Stefan das Blatt aus der Hand.
Sein enttäuschter Blick traf mich wie ein Dolch. So
als hätte ich ihm das Herz gebrochen. Nicht nur als Kollegin. Schockiert starrte ich auf seine tobende Erscheinung. Ich versuchte, ruhig zu bleiben und nicht auf der Stelle in Ohnmacht zu fallen.
Mit Zorn unterschrieb Aigner und warf mir das Papier hin. »Aber kommen Sie mir nachher bloß nicht wieder angelaufen!«
Ich streifte Stefan mit einem Seitenblick, aber der stand nur mit verschränkten Armen da und nickte mir triumphierend zu.
»Nein«, versprach ich schluchzend. »Mach ich nicht. Sie sehen mich nie wieder! Versprochen!« Wie gern wäre ich meinem lieben Professor noch einmal zum Abschied um den Hals gefallen! Aber der stürmte mit wehendem Kittel aus dem Raum und hinterließ diesen Duft, an den ich mich schon so gewöhnt hatte. Eine Mischung aus Rasierwasser und Desinfektionsmittel.
»Ich trete Ihnen nie wieder unter die Augen!«, rief ich halblaut hinter ihm her. »Ehrenwort!«
Damals konnte ich noch nicht wissen, wie oft wir uns doch noch wiedersehen würden. Und unter welchen Umständen.
Professor Aigner schrieb mir ein fantastisches Zeugnis. Ich musste mehrfach schlucken, als ich es las, und meine Augen schwammen in Tränen.
»Sie war nach ihrer Facharztanerkennung bis zu ihrem Ausscheiden stets zu meiner vollsten Zufriedenheit als Assistenzärztin tätig. Davor hat sie achtzehn Monate als Ärztin im Praktikum bei mir verbracht
und war in der Frauenklinik ganztags und besonders nachts voll im Einsatz. Sie unterbrach ihre Tätigkeit nur wegen zweier Geburten und der damit verbundenen Mutterschutzfristen und Erziehungszeiten. Nach meiner Auffassung ist Frau Dr. Kuchenmeister eine ausgereifte Frauenärztin, die zu Recht die Anerkennung als Frauenärztin erhielt. Sie ist mit Sicherheit geeignet und in der Lage, eine Praxis für Frauenheilkunde und Geburtshilfe zu übernehmen und erfolgreich fortzuführen.
Ich wünsche Ihnen weiterhin Gesundheit, Freude an der Familie und viel Erfolg im Beruf.«
Das war ein großer Beweis seiner menschlichen Stärke, und ich bewunderte ihn dafür, dass er mich so lobte.
Leider hatte ich ihm in die Hand versprochen, ihm nie wieder unter die Augen zu treten.
»Frau Dr. Kuchenmeister?«
»Ja? Am Apparat?«
»Hier spricht Frau Thaler. Sie wissen schon. Die Witwe mit der gynäkologischen Praxis.«
»Ja, klar! Und? Wie ist Ihre Entscheidung ausgefallen?«
Mein Herz klopfte bis zum Zerspringen, denn ich wusste genau: Ich war auf diese Praxis in
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