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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Mespelbrunn, und in den war ich echt verknallt. Aber davon darf mein Willi nix wisse.«
    »Dass ich mich hier an die ärztliche Schweigepflicht halte, ist ja wohl Ehrensache«, lud ich die Frau auf ein vertrauliches Gespräch ein. »Aber dass Sie noch nie einen Orgasmus hatten, finde ich persönlich schon schade.«
    »Was?« Der Frau fiel fast die Brille von der Nase. »So hat der alte Dr. Thaler aber nicht mit mir gesprochen!«
    »Der war ja auch ein Mann. Schauen Sie: Selbst viele junge Frauen haben heutzutage noch nie einen Orgasmus
gehabt. Und sie glauben, dass der Fehler bei ihnen liegt. Aber Scheide - rein, raus -, das bringt nichts. Da kann der Trottel rammeln, solange er will. Manche Männer sind schon tot über ihrer Frau zusammengebrochen, nur weil sie nicht wussten, wo die Klitoris liegt.«
    Nein. So was hatten die Damen noch nicht gehört. Aus dem Munde eines Arztes.
    »Ach wisse Se, isch geh jetzt bessä …«
    »Nix da, jetzt reden wir uns die Sache mal von der Seele!« Ich drückte die verwirrte Frau wieder in ihren Stuhl.
    »Also isch weiß schon, was ein Orgasmus ist«, schüttete Frau Maier mir daraufhin ihr Herz aus.
    »Sie sind nicht die Einzige, die es sich selbst macht«, half ich ihr auf die Sprünge.
    »Nein? Da bin ich aber erleichtert… wissen Sie. Ich beichte das auch regelmäßig wegen des sechsten Gebots: Du sollst nicht unkeusch sein und nicht begehren deines nächsten Weib.«
    »Das tun Sie ja auch nicht. Und den Pfarrer geht das gar nichts an! Das ist Ihre Klitoris. Mit der können Sie machen, was Sie wollen.«
    Ja, so redete ich mit den Patientinnen, und schnell sprach sich herum, dass ich eigentlich ganz locker drauf war und dass ein unverbindlicher Besuch bei mir ziemlichen Unterhaltungswert hatte.
    »Die ist nicht so verklemmt«, hörte ich die Damen im Wartezimmer wispern, wenn ich wieder mal an ihnen vorbeiwatschelte, um auf die Toilette zu gehen.

    »Mit der kann man über alles reden!«
    Und so vertraute die Nächste mir dann gleich an, dass sie das Wasser nicht halten könne.
    Ich erklärte ihr die Ursachen der Inkontinenz und was man dagegen tun könne.
    Den jungen Patientinnen, die gerade entbunden hatten, zeigte ich Übungen, um den Beckenboden wieder zu festigen - was in meiner Situation alle zu Lachstürmen hinriss.
    Bei den älteren Patientinnen holte ich mein Sortiment von Slipeinlagen in allen Größen hervor, ohne lange darum herumzureden.
    »Ich selbst trage übrigens auch diese Marke«, half ich ihnen über die Peinlichkeit hinweg. »Oder meinen Sie, die Zwillinge in meinem Bauch treten mir nicht auf die Blase?«
    Die meisten Patientinnen waren nach anfänglicher Verlegenheit total erleichtert, dass sie endlich mal mit jemandem von Frau zu Frau reden konnten, und dann sprudelten ihre kleinen und großen Sorgen nur so aus ihnen heraus.
    Manchmal stellte ich auch Brustkrebs fest. Oder Unterleibskrebs. Dann schickte ich die Patientin zu Professor Aigner. Allerdings ohne persönliche Grüße. Jedes Mal zog es mir ein kleines bisschen das Herz zusammen. Da hatte ich verbrannte Erde hinterlassen. Da hatte ich einen Menschen, der mir so viel bedeutete, ja der mein Leben entscheidend geprägt hatte, fürchterlich enttäuscht. Und das konnte ich einfach nicht verwinden.

    Aber wenn mein schlechtes Gewissen diesen Dauerparkplatz mal für kurze Zeit verließ, dann muss ich sagen: Alles in allem war ich überglücklich, eine solche Arbeit zu haben. Wenn ich mich abends todmüde nach Hause schleppte, ging ich in Gedanken noch mal alle Gespräche mit den Frauen durch. Und wenn ich dann nach dem Kinder-ins-Bett-Bringen inklusive Beten und Singen neben meinem Mann ins Bett fiel, hatte ich das Gefühl, dass dies wieder ein ganz besonders erfüllter Tag gewesen war.
    Ich hatte meinen Platz im Leben gefunden. Meine Kinder waren gesund und gediehen prächtig, mein Mann liebte mich über alles, und ich freute mich auf die Zwillinge.
    Die Schufterei hatte sich gelohnt.
    Ich war einfach nur glücklich.
     
    Aber der Regisseur des Lebens da oben fand, dass ich mich bloß nicht zu lange in meinem Glück sonnen solle. Er berief kurzerhand die gefürchtete KV-Sitzung ein. Die hatte ich beinahe schon vergessen!
    Die Verantwortlichen der Kassenärztlichen Vereinigung versammelten sich in ihrem Sitzungssaal in Nürnberg, um über die Übertragung des Thalerschen Kassenarztsitzes zu entscheiden. Alles in allem erinnerte mich diese Versammlung an das Prüfungskomitee in München. Nur Männer

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