Himmel und Hölle
Visitenkarte, und die Damen der Umgebung rannten mir beinahe die Bude ein. Sowohl alte als auch neue Patientinnen fühlten sich bei mir sofort gut aufgehoben.
Bei uns ging es nicht so hoch her wie beim Professor, wir hatten eine ganz normale Wald- und Wiesen-Praxis, und die Frauen kamen mit den unterschiedlichsten Bedürfnissen und Beschwerden.
Es waren am Anfang viele Frauen vom Lande, oft aus einfachsten Verhältnissen, manchmal sogar von abgelegenen Bauernhöfen, und sie wagten es, mit mir über Dinge zu sprechen, die sie einem alten Arzt vielleicht nicht anvertraut hätten.
Es ging um ganz normale Frauendinge: von A wie
Abnehmen, Ausbleiben der Regel, Ausfluss, Affäre, Analverkehr, Angst über B wie Busen zu klein, Busen zu groß, Blasenentzündung, beste Freundin schläft mit meinem Mann, Besenreiser oder Beziehungsstress, C wie chronische Scheideninfektion, D wie Dauerblutungen, E wie Eierstockzellen, Eifersucht, Empfängnis und Eisprung, F wie Fitness, Flüssigkeitsaustritt aus der Brustwarze, G wie Gebärmutterentfernung, Gebärmutterhalskrebs, Geschlechtsverkehr vor Arzttermin, Gewebeveränderungen, H wie Haare, Haarentfernung im Genitalbereich, Hämorrhoiden, Hormone, Hormonstörung, HPV-Warzen, HPV-Infektion, I wie Inkontinenz, Intimbereich, Implantat, Immer in den falschen Mann verliebt, Ich weiß nicht weiter, Ich will Schluss machen, J wie Juckreiz, Jungfrau, K wie Keine Periode, Kinderwunsch, Kaiserschnitt, L wie Liebe, Libido, Lust, keine Lust, M wie Menstruation, Migräne, Muttergefühle, Muttermilch, O wie Orgasmus, One-Night-Stand, P wie Periode, Panik, Partner, Pickel im Intimbereich, Pigmentflecken, Pille, Penis, R wie Röntgen, rote Streifen, S wie Sex, Schamlippen, Scheide, Spirale, Schmerzen, Schwanger, Sterilisation, T wie Tage, Trennung, Tampon, Tanga, Trockenheit, U wie unreine Haut, Übelkeit, V wie Vagina, Vaginalchirurgie, Verhütung, Verliebt, Vorsorgeuntersuchung, W wie Wachsen, Warzen, Wechseljahre bis Z wie Zwischenblutung, Zyklus, Zyste, zu jung, zu alt, zu dick, zu …
Inzwischen kamen alle Schichten von Frauen zu mir, wirklich alle: Ob es die promovierte Richterin
war, bei der Stefan unlängst einen Prozess in Sachen Baugenehmigung gewonnen hatte, oder die grauhaarige müde Frau mit der schlecht sitzenden Dauerwelle, die im Supermarkt an der Kasse stand. Die erfolgreiche Unternehmerin, die im Wartezimmer mit ihrem Laptop arbeitete, oder die einfache Putzfrau, deren Hände rissig waren. Die Nagelstudiobesitzerin mit dem Fußkettchen, die trotzige Dreizehnjährige, die sofort und ohne Untersuchung die Pille wollte, die Pradatäschchenschlenkerin, die keine Lust mehr auf ihren alten reichen Kerl hatte, die dicke Bäuerin mit der Einkaufstüte, die mir Kohlköpfe als Honorar anbot, die vaginal gepiercte Motorradbraut, deren Kerl mit grimmigem Gesicht im Wartezimmer stand und seinen Helm nicht abnahm, die Tätowierte mit dem Totenkopf auf dem Po, die ganz normale Hausfrau und Mutter, die drei Kinder im Schlepptau hatte, die alte Dame, die ihren Dackel mitbrachte, die Verschleierte, deren Mann für sie sprach … Alle kamen sie zu mir. Plötzlich war ich selbst der Guru … jedenfalls für Frauendinge.
Kurz entschlossen hatte ich die oben erwähnte Stichwortliste an die Wände des Wartezimmers gehängt und den Frauen so quasi die Scheu genommen, diese vermeintlich peinlichen Themen anzusprechen.
Das hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen.
Bei erstaunlich vielen Patientinnen ging es schlicht und einfach darum, dass sie »keine Lust« mehr hatten. Im wahrsten Sinne des Wortes.
»Wie soll ich das nur meinem Mann beibringen, dass er mich endlich in Ruhe lässt?«
»Frau Maier«, brachte ich die Sache auf den Punkt: »Wenn Sie Probleme mit einer zu trockenen Scheide haben, gibt es heute Mittel und Wege.«
»Wie meinen?« Die ältere Patientin starrte meinen hochschwangeren Bauch an, über dem der Arztkittel schon lange nicht mehr zu ging, während ich ihr was von Libido und Gleitmitteln erzählte.
»Auch junge Mädchen haben häufig solche Probleme«, half ich der Frau über ihre erste Verlegenheit hinweg. »Unter der Pille beispielsweise lässt die Lust nach, deswegen nehme ich ja auch keine, hahaha«, versuchte ich die Sache ein bisschen aufzulockern.
Die Frau ließ sich zu einem breiten Grinsen hinreißen.
»Aber isch hab generell kein Spaß an der Sache«, vertraute sie mir an. »Hab ich noch nie gehabt, noch nicht mal mit dem Waldä, damals bei der Kur in
Weitere Kostenlose Bücher