Himmel und Hölle
spreche, wenn ich einer Patientin Tipps für die Geburtsvorbereitung gebe.«
Stefans Lippen zuckten unmerklich. Er sah mich an und hob den Daumen. Gut, Konstanze. Mehr davon!
»Genau«, mischte sich nun Frau Thaler ein. »Ich habe Konstanze in dieser Praxis arbeiten sehen. Sie macht das fantastisch! Die Patientinnen lieben sie!«
»Konstanze hat bewiesen, dass sie dieser Aufgabe gewachsen ist«, bekräftigte nun auch Stefan noch einmal. »Mangelnde medizinische Qualifikationen kann man ihr weiß Gott nicht vorwerfen!«
»Das tun wir ja auch nicht«, murmelte der Männerbund übereinstimmend.
»Im Übrigen entscheide ICH immer noch mit, an wen ich die Praxis verkaufe«, Frau Thaler ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen. »Und ich verkaufe an Konstanze Kuchenmeister.«
So. Peng! Das saß. Die Herren sahen einander fragend an.
»Kollege Girtz, ich fordere Sie hiermit auf, Ihre Bewerbung zurückzuziehen«, beschied nun der Ältestenrat.
Tatsächlich gab Girtz sich geschlagen und verließ zähneknirschend den Saal.
Frau Thaler, Stefan und ich lagen uns in den Armen. Unter Siegesgeheul führte ich im Empfangsbereich der Kassenärztlichen Vereinigung im Umstandskleid einen Freudentanz auf.
Und meine Zwillinge in ihrem Fruchtwasser machten ein paar Saltos.
Als Erstes statteten wir die Praxis mit neuen Geräten aus.
Nachdem ich so intensiv bei Professor Aigner gelernt hatte und auf dem allerneuesten Wissensstand war, wollte ich mich mit diesen vorsintflutlichen Apparaten nicht weiter abgeben.
Stefan investierte viel Geld in ein neues Ultraschallgerät, in einen Untersuchungsstuhl, in die EDV und die sonstige Modernisierung der Praxis. So ein Ultraschallgerät kostet mehr als ein neuer Mittelklassewagen. Letztendlich können das viele Ärzte heutzutage gar nicht mehr erwirtschaften, weshalb viele Arztpraxen in Konkurs gehen. Da wird dann lieber auf modernes Equipment verzichtet, aber der eigentliche Leidtragende ist der Patient.
Den Wartebereich richteten wir behaglich ein, mit gemütlichen Sesseln und schönen Ölgemälden, die Mädchen, Frauen und Landschaften zeigten. Sie tauchten meine Praxis in warmes, angenehmes Licht. Die Patientinnen sollten sich fühlen wie zu Hause im Wohnzimmer.
Das letzte i-Tüpfelchen setzte Stefan, indem er eine moderne Stereoanlage anschaffte. Wenn man durch den Vorraum schritt, ertönte gedämpfte klassische Musik, auch mal Robbie Williams oder Julio Iglesias. Die neueste Vogue, Madame, InStyle und auch die Bravo lagen ebenfalls zum Schmökern aus. Das Wichtigste war mir das Schaukelpferd aus meiner Hamburger Kindheit. Zahlreiche Patientinnen brachten nämlich kleine Kinder mit, und über meine Mutter kam
ich außerdem an eine üppige Briobahnlandschaft, ein wunderschönes massives Holzpuppenhaus, eine Menge Bauklötze, Bilderbücher, ein Puppentheater und anderes pädagogisch wertvolles Spielzeug.
Stefan hatte mir ein fantastisches Computerprogramm eingerichtet. Alles ging auf einmal spielend leicht von der Hand. Meine treue Frau Thaler musste sich immer wieder die Augen reiben vor Staunen.
Ich versah meine tägliche Arbeit mit Freude und Begeisterung und war stolz wie Oskar. Ich hatte eine eigene, nagelneu renovierte, fantastisch ausgestattete Praxis! Mein Traum war Wirklichkeit geworden, so wie ich mir das immer ausgemalt hatte.
In Hunderten von dunklen, kalten Nächten, in denen ich Notdienst gehabt hatte oder über meinen Fachbüchern brütete - immer wieder hatte Stefan mich zum Durchhalten animiert:
»Visualisiere deinen Traum. Sieh deine eigene Praxis ganz deutlich vor dir. Wo steht der Untersuchungsstuhl? Wohin geht der Blick aus dem Fenster? Wie sieht das Wartezimmer aus? Welche Patientinnen sitzen darin? Hörst du die Kinder im Wartezimmer? Siehst du die Freudentränen einer Frau, der du eine lang ersehnte Schwangerschaft bestätigen kannst? Oder das stolze Leuchten in den Augen eines jungen Vaters, der zum ersten Mal im Ultraschall das entscheidende Beweisstück für seinen zukünftigen Sohn erkennt? Du zeigst es ihm. Er umarmt dich. Spürst du den dankbaren Händedruck der Frau mit der Blasenschwäche, der du gerade beigestanden hast?«
Ja, Stefan hatte mich zum Durchhalten animiert.
Und jetzt war alles genau so, wie ich es mir immer erträumt hatte. Als unerwartete Dreingabe zu diesem unfassbaren Glück strampelten die Zwillinge in meinem Bauch.
20
In der Medizin gibt es viele Dinge zwischen Himmel und Hölle.
Nachdem sich herumgesprochen hatte,
Weitere Kostenlose Bücher