Himmel und Hölle
»Nicht schlecht. Sie haben Talent, Frau Kuchenmeister. Kommen Sie nachher in mein Büro.«
Dass Professor Aigner eine so wichtige Rolle in meinem Leben spielen würde! Wer hätte das gedacht.
»Sie bekommen ein Antibiotikum. Sie brauchen Ihre ganze Kraft für die Wundheilung. Die Operation war viel umfangreicher, als wir befürchtet hatten.«
»Aber meine Zwerge!?« Heulen konnte ich nicht, dazu tat mir der gesamte Körper zu weh.
»Die Kinder nehme ich mit nach Hause«, entschied Stefan. »Nicole und ich, wir kriegen das hin.«
Der Professor wandte sich noch einmal an ihn. »Sie müssen Ihre Frau jetzt unbedingt unterstützen. Nehmen Sie Ihr die Last von den Schultern, dass sie für Ihre vier Kinder ganz allein verantwortlich ist.«
»Er ist der beste Mann und Vater, den man sich wünschen kann«, krächzte ich von meiner Lagerstatt. »Er ist nur beharrlicher als andere, das gebe ich gern zu. Aber er ist wunderbar.«
»Beharrlich nennen Sie das?«
»Er zieht das durch, was er sich in den Kopf gesetzt hat …«
»Herr Professor, es tut mir wirklich wahnsinnig leid«, begann Stefan, aber der Professor winkte ab.
»Sie kämpfen wie ein Löwe für Ihre Frau. Und Ihre Frau kämpft wie eine Löwin um die Kinder. Das passt schon. Und Sie schaffen das auch. Wenn es jemand schafft, dann Sie.«
Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.
29
Meine fünf Monate alten Zwillinge hungerten zu Hause tagelang und schrien sich die Seele aus dem kleinen Leib. Es muss die Hölle für alle gewesen sein. Zum Glück sprang Stefans Mutter ein und nahm die beiden Großen für ein paar Tage mit zu sich nach Wendelstein. Die Mini war gerade fünf geworden, sie verstand die Welt nicht mehr. Warum blieb ihre Mama trotz aller Versprechungen, ganz schnell wiederzukommen, immer wieder eine Ewigkeit weg? Wo war sie? Warum durfte sie sie nicht besuchen?
Aber ich wollte meiner Mini den Anblick ersparen. Ich hing an Schläuchen, aus denen Blut und Harnflüssigkeit tropfte, und war aufgequollen. Meine kleine, süße Tochter hatte mich immer fröhlich und aktiv in Erinnerung gehabt. Ich war gerannt und gelaufen, hatte beim Stillen telefoniert und beim Autofahren meine Briefe diktiert. Das Häufchen Elend, das ich jetzt war, würde nur einen weiteren Schock bei ihr auslösen. Mein kleiner Konstantin sollte mich genauso wenig sehen. Die beiden waren bei Oma und Opa im Moment am besten aufgehoben.
Dank der medizinischen Nachsorge durch Professor Aigner und sein Team schritt bei mir die Wundheilung
gut voran. Natürlich war es auch mein zäher Wille, so schnell wie möglich wieder bei meinen Kindern zu sein, der mich nach relativ kurzer Zeit aus dem Bett trieb.
Nach einer Totaloperation bleiben die Patientinnen normalerweise bis zu vier Wochen im Krankenhaus. Dort ruhen sie sich aus, kommen wieder zu sich und stellen sich auch seelisch darauf ein, ohne Gebärmutter weiterzuleben. Manche haben ein echtes Problem damit, »keine richtige Frau« mehr zu sein. Ich erinnerte mich an viele Patientinnen, die nach einer Totaloperation seelisch völlig am Boden waren. Würde ihr Mann sie noch wahrnehmen, noch lieben, in ihr noch eine vollwertige Frau sehen?
Doch für solche Gedanken hatte ich überhaupt keine Zeit. Ich war jung, gerade mal fünfunddreißig, hatte vier Kinder, einen Mann und eine Praxis und wollte - ja, musste - so schnell wie möglich hier raus. Mit einer Drainage im Bauch ließ ich mich bereits nach zehn Tagen von Stefan nach Hause bringen.
Mein lieber Mann hatte alle seine Termine abgesagt und lief nur noch mit Headset durch die Gegend. »Nein, dieses Grundstück ist für einen Fachmarkt nicht geeignet«, sagte er so leise in das Mikro an seiner Wange, wie es gerade noch vertretbar war, während er unseren kleinen Carlos liebevoll wickelte. »Aber das andere ist die allerbeste Traumlage, direkt an der Bundesstraße, glauben Sie mir! Gell, mein kleiner Bub, wir lassen da nicht mit uns verhandeln! Nein! Nicht pinkeln jetzt!«
Kaum war ich wieder zu Hause, nahm er seine berufliche Tätigkeit in voller Intensität wieder auf. Und die Praxis hatte er in der Zwischenzeit auch noch irgendwie am Bein. Es ist mir ein Rätsel, wie er das damals alles hingekriegt hat.
Einen Staatssekretär oder einen Konzernvorstand interessiert es herzlich wenig, in welchen privaten Verstrickungen sich sein Berater gerade befindet. Er hat Gewehr bei Fuß zu stehen, für jedes noch so komplizierte Immobilienproblem eine Lösung zu finden. Stefan war
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