Himmel und Hölle
gestillt.«
»Auch auf die Gefahr hin, dass Ihre Nieren schon vom Krebs befallen sind?«
Ich schwieg. Aber ich wollte nicht aufgeben. Noch nicht. Meine Zwillinge hatten dasselbe Recht auf Muttermilch wie ihre Geschwister. Ich würde erst aufgeben, wenn ich pures Gift in den Brüsten hätte. Da war ich wie Stefan. Unglaublich beharrlich und bis zur Penetranz lästig. Es ging erst dann nichts mehr, wenn wirklich nichts mehr ging. Und das wusste der Professor.
»Wir machen ein Ausscheidungsurogramm«, brüllte er. »Daran kommen Sie nicht vorbei.«
»Nein, Professor!«, heulte ich hilflos. »Muss das denn wirklich sein?«
»Jetzt treffe ICH hier die Entscheidungen«, schnauzte der Professor mich an. Dabei strich er mir irgendwie hilflos über die Stirn. Er mochte mich. Als Mensch. Nicht nur als Kollegin. In diesem Moment wusste ich, dass ich ihm persönlich am Herzen lag.
Der arme Professor. Er hatte es noch nie leicht mit mir gehabt. Es war schon grotesk: Ich hatte Krebs, und der Professor tat mir leid. Wahrscheinlich ist das typisch weiblich.
Schon bald stoben die Kollegen mit wehenden Kitteln herein und verschafften sich einen Überblick über meinen Krankenstand. Ihre Gesichter waren fassungslos, sie tuschelten, sahen einander fragend an, zuckten mit den Schultern. Ihre betroffenen Blicke waren schlimmer als alles andere. Erst war ich die Ausgestoßene, die sich einfach davongemacht und diesen fantastischen Posten an der Seite Aigners in den Wind geschossen hatte. Und jetzt lag ich hier, von Weinkrämpfen geschüttelt, dem Tode näher als dem Leben. Jetzt würde ich ihre Patientin sein, nicht mehr die Kollegin. Vielleicht zum letzten Mal.
Die Kollegen baten mich zur Blutabnahme. Alle waren geschockt. Jahrelang hatte ich täglich mit ihnen am OP-Tisch gestanden und mit Gebärmutterhalskarzinomen in jeder Form und Größe zu tun gehabt. Nur den Balken im eigenen Auge, den hatte ich nicht gesehen.
»Frau Kuchenmeister, Sie bekommen ein starkes Narkosemittel, Sie dürfen dann nicht mehr weiterstillen. Schafft es dieses Mädchen da draußen, die Zwillinge auf die Flasche umzustellen?«
Wie ein Freund oder Vater machte sich Professor Aigner Gedanken um mein familiäres Umfeld.
»Professor Aigner, bitte! Sie sind fünf Monate alt, haben noch nie etwas anderes als Muttermilch bekommen! Lassen Sie mich nach der OP weiterstillen!«
»Stillen zehrt«, erklärte Professor Aigner geduldig. »Stillen kostet Kraft. Die Wundheilung wird dadurch extrem gestört. Sie dürfen Ihrem Körper nicht noch mehr zumuten!«
»Kann ich es nicht wenigstens versuchen? Ich bin stark! Ich schaffe das!« Ich dachte an meine vier Babys Catherine, Konstantin, Charline und Carlos.
»Frau Doktor«, sagte Aigner mit Nachsicht in der Stimme. Er setzte sich zu mir auf die Untersuchungsliege, nahm meine Hand und hielt sie fest.
»Sie werden Ihre Zwillinge bei sich im Zimmer haben, wenn Sie aus der Narkose aufwachen. Dafür wird Ihr Supermann schon sorgen!«
»Oh danke, Professor!« Plötzlich heulte ich Rotz und Wasser.
Und plötzlich spürte ich seine tröstende Hand auf meinem Haar. »Ihr Kindermädchen soll jetzt mit den Zwillingen nach Hause gehen. Sie soll ihnen Schnuller kaufen, damit sie die nächste Zeit überstehen. Das wird nicht leicht für so ein junges Mädchen.«
»Nicole ist belastbar.«
»Das scheint bei Ihnen in der Familie zu liegen.«
Dann fragte der Professor besorgt: »Wo sind eigentlich Ihre anderen Kinder?«
»Im Kindergarten. Nicole holt sie um vier ab. Die
Mini ist vor zehn Tagen fünf geworden, ich bin so froh, dass ich ihr noch einen schönen Kindergeburtstag machen konnte …« Schon wieder brach ich in Tränen aus.
In der trüben Vorahnung, dass ich bald wieder für lange Zeit im Krankenhaus - oder sogar für immer weg - sein würde, hatte ich noch zehn Kinder eingeladen, drei Kuchen gebacken, hundert Luftballons aufgepumpt und für meine Süße das Traumfest schlechthin gegeben. Auch Konstantin hatte gejubelt und sich den Bauch vollgeschlagen. Ich war noch mit ihnen auf dem Trampolin herumgesprungen, wobei ich meine höllischen Bauchschmerzen ignoriert hatte, und hatte blinde Kuh mit ihnen gespielt. Ich blinde Kuh! Dabei hatte ich nur den Kopf in den Sand gesteckt!
Und mein Versprechen, von nun an für immer bei ihnen zu bleiben, musste ich schon wieder brechen! Das hatten meine Kinder wirklich nicht verdient!
Der Professor strich mir tröstend über den Kopf. »Ich verspreche Ihnen, Sie dürfen noch
Weitere Kostenlose Bücher