Himmel und Hölle
meinen Traum, so wie Stefan mir das beigebracht hatte: In einer Art Weichzeichnung wie aus der Persil-Werbung sah ich meine Kinder um mich herumspringen. Wir standen auf einem großen Platz, auf dem es von Tauben wimmelte. Die Kinder waren gesund und fröhlich, sie hüpften umher und
lachten, und ich stand Arm in Arm mit Stefan daneben und strahlte. Dann bogen wir alle gemeinsam in ein mittelalterliches Gässchen ein. Die Luft war mild. Es duftete nach Meer.
30
Bei der Feier zum fünften Geburtstag meiner Mini hatte mir eine entzückende junge Griechin geholfen, die ich in einem Café kennengelernt hatte: Eleni. Sie war eine Art Maskenbildnerin für normale Leute, eine Beauty-Spezialistin. Auf dem Fest hatte sie alle Kinder bunt geschminkt.
Diese Eleni war damals der reinste Segen für mich. Ich wollte es auf gar keinen Fall so weit kommen lassen, dass ich ungepflegt aussah. So half mir Eleni mit wertvollen Schminktipps. Selbst jetzt, während der Chemo, ging ich nie ungeschminkt zur Mülltonne. Mit dem Hermès-Tüchlein, das mir die Krankenkasse doch tatsächlich statt einer Perücke bewilligt hatte, war ich nach wie vor eine damenhafte Erscheinung.
Ich! Lass! Mich! Nicht! Gehen! Das schwor ich mir und Stefan. Und Stefan, der mich ja schon immer geliebt hatte, schenkte mir in dieser Lebensphase so viel Wärme, Respekt und Anerkennung, dass er mir damit über so manches seelische Tief hinweghalf. Schon allein für seine zärtlichen, bewundernden Blicke stand ich jeden Morgen auf.
Mein aufmerksamer, feinfühliger Stefan hatte mir auch ein Gedicht von Schiller aufgeschrieben. Und
während einer Chemo-Sitzung habe ich es auswendig gelernt:
Ach aus dieses Tales Gründen
Die der kalte Nebel drückt
Könnt ich doch den Ausgang finden
Ach wie fühlt ich mich beglückt
Dort erblick ich schöne Hügel
Ewig jung und ewig grün
Hätt ich Schwingen hätt ich Flügel
Nach den Hügeln zög ich hin
Harmonien hör ich klingen
Töne süßer Himmelsruh
Und die leichten Winde bringen
Mir der Düfte Balsam zu
Goldne Früchte seh ich glühen
Winkend zwischen dunklem Laub
Und die Blumen die dort blühen
Werden keines Winters Raub
Ach wie schön muss sich’s ergehen
Dort im ewgen Sonnenschein
Und die Luft auf jenen Höhen
O wie labend muss sie sein
Doch mir wehrt des Stromes Toben
Der ergrimmt dazwischen braust
Seine Wellen sind gehoben
Dass die Seele mir ergraust
Einen Nachen seh ich schwanken
Aber ach! Der Fährmann fehlt
Frisch hinein und ohne Wanken
Seine Segel sind beseelt
Du musst glauben du musst wagen
Denn die Götter leihn kein Pfand
Nur ein Wunder kann dich tragen
In das schöne Wunderland
Da hatte sich also schon Friedrich Schiller im Jahre 1801 in schöne Sphären geträumt, seine Träume visualisiert! Seine Botschaft erreichte mich: »Du musst glauben, du musst wagen, denn die Götter leihn kein Pfand! Nur ein Wunder kann dich tragen in das schöne Wunderland.«
Und genau dort wollte ich hin.
Eines Tages - es schneite, und die Kinder wollten unbedingt Schlitten fahren - war mal wieder eine Chemo angesagt.
»Wir müssen unbedingt Winterschuhe für meine Zwerge kaufen«, beschloss ich. »Das kriegen wir vor der Chemo schon noch irgendwie hin.«
Also packten Nicole und ich alle vier Kinder dick ein und schoben uns wie immer über den Beifahrersitz in den alten Volvo. Mit geübten Griffen schnallten wir die vier Kleinen in ihren Maxi-Cosis an.
Verdammt. Der alte Volvo sprang nicht an!
Ich versuchte es mehrere Male. Draußen tanzten die Schneeflocken, und die Kinder wedelten mit den Ärmchen:
Sie wollten raus, spielen! Aber das ging nicht ohne Winterschuhe. Auch der Volvo hatte noch Sommerreifen drauf. Zu solch profanen Dingen wie einem Werkstattbesuch hatten Stefan und ich wirklich keine Zeit gehabt. Mühsam schälten Nicole und ich uns über den Beifahrersitz wieder hinaus.
Ich öffnete die Motorhaube, und da sahen wir die Bescherung: Ein Marder hatte die Zündkabel durchgebissen.
Da standen wir also, mit den vier Kindern im Schnee. Und ich musste in die Klinik! Zur Chemo!
Also schleppte Nicole alle wieder ins Haus, und ich rief meinen Schwiegervater an, den gelernten Schlosser, Bastelfreak und Selfmademan, der auch was von Autos versteht. Opa Arno ist klasse: Er strahlt immer Ruhe aus und weiß immer Rat. Nur schade, dass Stefan von seiner Ruhe so gar nichts mitbekommen hat! Da ist der Apfel ziemlich weit vom Stamm gefallen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Arno kam, ließ den Volvo
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