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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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schlecht, dass ich nicht mehr selbst fahren konnte. Am 15. Dezember wollte ich meine letzte Chemo machen, damit mir Weihnachten nicht übel sein würde.
    Meine Eltern wollten erstmalig aus Berlin kommen, die Schwiegereltern aus Wendelstein. Wir hatten uns ganz fest vorgenommen, dieses Weihnachten im Kreis der gesamten Familie zu feiern. Wir konnten die Treffen unserer Eltern an einer Hand abzählen, obwohl wir inzwischen schon zehn Jahre verheiratet waren. Natürlich siezten sich unsere Elternpaare immer noch. Insgeheim dachte ich vielleicht auch, dass die Familie zusammenhalten muss, wenn ich einmal nicht mehr bin. Zu diesem Anlass wollte ich stabil sein und eine halbwegs brauchbare Gastgeberin und Mutter abgeben. Doch allein schon der Speiseplan war ein Problem: Ente und Kaviar für meine Eltern oder Stadtwurst und Sauerkraut für meine Schwiegereltern?
    Nach meiner sechsten Chemo ging es mir so hundsmiserabel, dass ich nicht mehr aufstehen konnte. Mir war nur noch schwindelig, alles drehte sich, und ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Nicole brachte alle vier Kinder zu meinen Schwiegereltern, die sich wirklich rührend um die Rasselbande kümmerten.
    »Klar ist dir schlecht, das macht die Chemo! Du hast das Fortecortin abgesetzt, das dir gegen die Übelkeit helfen sollte«, tröstete mich Stefan am Telefon. »Und
deshalb machst du ja auch bald eine Pause mit der Chemo. Bitte, Schatz! Gönn dir für ein paar Wochen ein halbwegs normales Leben. Wenn unsere Eltern kommen, brauchst du deine ganze Kraft. Ich helfe dir bei den Einkäufen und Vorbereitungen, sobald ich hier wegkomme.«
    Immer wenn ich Stefans Stimme am Telefon hörte, schöpfte ich wieder Hoffnung. Er würde mir beistehen, das wusste ich. Und so schleppte ich mich wieder von einem Tag zum nächsten. Es würde schon irgendwie weitergehen. Stefan war der Strohhalm, an den ich mich klammerte.
    Anfang Dezember 2004 verlor ich zum ersten Mal das Bewusstsein. Und zwar im Auto, als ich gerade versuchte, mich über den Beifahrersitz nach draußen zu bugsieren, um die Großen wie versprochen vom Kindergarten abzuholen. Ich muss über der Gangschaltung zusammengebrochen sein.
    Stefan vereinbarte dann für den 10. Dezember sofort einen Termin für eine Computertomografie in Erlangen. Es war wieder ein Freitag wie damals, als ich die schreckliche Krebsdiagnose erfahren hatte. Und jetzt schob man mich in die Röhre, um meinen Kopf zu untersuchen. Ich wagte nicht daran zu denken, dass der Unterleibskrebs doch gestreut haben könnte. Ich wusste nur eines: Dieser Schwindel, diese Übelkeit, diese Matschbirne mussten behoben werden.
    Stefan war bei mir, und das fühlte sich gut an.
    »Schatz, diese Untersuchung dient nur deiner eigenen Beruhigung«, sagte Stefan mühsam lächelnd. »Versuche
dich zu entspannen. Die Kinder sind bei meinen Eltern gut aufgehoben und basteln Strohsterne, und deine Mama stellt schon die Weihnachtsgeschenke zusammen. Die Lieblingsschokolade für die Enkel bringt sie auch mit. Wie sie mir am Telefon sagte, will sie sich eigenhändig um die Gans kümmern, und meine Mutter macht dann den Rotkohl und die Klöße. Die beiden werden sich einen regelrechten Wettstreit in deiner Küche liefern! Sollte man das nicht ein bisschen filmen …?«
    Fast musste ich kichern. Er hat mal wieder alles im Griff, dachte ich. Ich muss mich um nichts kümmern.
    »Du lässt jetzt einfach diese Computertomografie machen und bist danach erleichtert, weil gar nichts Ernstes ist. Und dann gehen wir schön essen bei Da Pippo.« Sanft streichelte Stefan meine Hand. Das fühlte sich gut an. Auch wenn sich mir beim Gedanken an Pizza oder Pasta der Magen umdrehte.
    »Ja, so machen wir’s.« Ich versuchte, mich aufzurichten, weil mir im Liegen schon wieder so schlecht wurde.
    Stefan reichte mir schweigend die Spuckschale, und ich würgte, bis nur noch grüne Galle kam. Wahrscheinlich hätte Stefan die Gans samt Rotkohl und Klößen doch lieber nicht erwähnen sollen. Wobei ich ihm dankbar war, dass er nicht mit der Stadtwurst und dem Sauerkraut angefangen hatte.
    »Sei tapfer, Kleines. Du schaffst das! Ich bin stolz auf dich. Du bist meine Löwenfrau. Ich sitze hier und bleibe die ganze Zeit über bei dir.«
    Dann lag ich in dieser scheußlichen Röhre. Eine
ganze Stunde lang. Einatmen, ausatmen. Nicht durchdrehen. Bloß nicht in Panik geraten. Tapfer sein, Konstanze. Träum dich nach Paris. Oder nach Venedig. Du gehst an einem Strand entlang, lauwarmes Wasser

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