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Himmel und Hölle

Titel: Himmel und Hölle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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er auf dem kalten Fliesenboden. Zum allerersten Mal war auch mein starker Stefan am Ende seiner Kräfte. Er hatte mir die ganze Zeit seine Kraft, seine Energie, seine Durchhalteparolen mitgegeben. Auch wenn er mit seinen Geschäftspartnern verhandelte, beruflich unterwegs war, war er in Gedanken stets bei mir. Bei UNS, bei unserer Familie.
    Nun sah er mit eigenen Augen den Tumor in meinem Hirn. Auch für ihn war jetzt jeder Funken Hoffnung erloschen. Er knickte um wie ein Streichholz.
    In dieser Sekunde mobilisierte ich von irgendwoher eine winzige Kraftreserve. Jetzt war es an mir, ihn zu stärken. Ich ging in die Hocke und schüttelte seinen Arm. »Schatz, das ist jetzt nicht gerade der geeignete Moment …«
    Im Bruchteil einer Sekunde hatte ich wieder die Bilder von Vätern vor Augen, die mir im Kreißsaal zusammengeklappt waren. Sie waren mit ein paar sanften Backpfeifen immer zu wecken gewesen.
    Aber nicht Stefan, da konnte ich an ihm herumtätscheln, so viel ich wollte. Die blasse Assistentin reichte
mir mit zitternden Fingern ein Glas Wasser. Kurzerhand schüttete ich es Stefan ins Gesicht.
    »Entschuldige, Schatz, aber ich brauch dich jetzt! Ich sterbe!«
    Stefans Mundwinkel zuckten. Gleich darauf rappelte er sich auf. Er schüttelte sich wie ein nasser Hund und wischte sich verstört über die Augen.
    »Okay, und was machen wir jetzt?«
    »Operieren. Sofort.«
    »Gut. Wo?«
    »In der neurochirurgischen Abteilung der Universitätsklinik ist Ihre Frau in erstklassigen Händen.«
    »Dann fahren wir jetzt schleunigst dorthin.« Stefan hatte sich wieder gefangen. Er zog das Handy aus der Tasche und drückte die Kurzwahltaste. »Nicole? Es verzögert sich noch etwas. Nein, wir bringen keine Pizza vom Italiener mit. Nimm irgendwas aus der Tiefkühltruhe. Sag den Kindern, Mama muss noch einem Baby auf die Welt helfen. Lies ihnen aus Tabaluga vor. Und … Nicole? Kannst du bei uns übernachten?«
    Ich starrte währenddessen wie hypnotisiert auf das Röntgenbild.
    Der Tumor war so groß wie einer dieser Bälle, mit denen Kinder auf Dosen werfen. Und jetzt fühlte ich ihn plötzlich auch. Er drückte mir auf die Nerven. Vor meinen Augen flimmerte es, und urplötzlich spürte ich ihn wachsen. Wie versteinert saß ich da und betastete meinen Kopf.
    Warum? Warum ich?
    Warum schon wieder ich?

    Warum meine Kinder? Was hatten sie verbrochen, dass man ihnen die Mutter wegnahm?
    »Stefan …«
    »Ich liebe dich, Konstanze. Alles wird gut. Ich weiche keinen Millimeter von dir. Gib dich nicht auf, Konstanze.« Stefan kniete vor mir, selbst leichenblass, und wischte mir die Tränen von den Wangen. »Weißt du noch, was wir uns gegenseitig versprochen haben? In guten wie in schlechten Zeiten?«
    »Aber sie sind verdammt schlecht!« Ich ließ meinen Kopf an seine Schulter sinken. »Wo sind die guten Zeiten, Stefan? Wo?«
    »Sie werden kommen. Das schwöre ich dir.«
    »Vielleicht hatten wir sie schon? Und haben es gar nicht gemerkt?« Ich blinzelte verzweifelt die Tränen weg und starrte ins grelle Neonlicht an der Decke. »Weil wir die guten Zeiten nur mit Arbeit vollgepackt haben?«
    »Sie werden kommen, Konstanze.« Stefan klopfte mir bestätigend aufs Knie. »Wir werden noch gute Zeiten haben. Wundervolle Zeiten. In Venedig, Paris und an der Côte d’Azur. Und wir werden sie genießen. Wir, gemeinsam mit den Kindern. Glaube ganz fest dran. Ich tue es. Für uns beide.«
    Ich weinte lautlos. Meine Tränen tropften auf sein Haar. Ich glaubte nicht mehr daran.
    Er hatte seinen Kopf auf meinen Schoß gelegt und umarmte mich. Er war einfach da.
    Und plötzlich sah ich meinen Vater vor mir, wie er sich aufrichtete und die Hosenbeine abklopfte, nachdem
er den ersten Wunsch an unser Auto geschrieben hatte. Damals, mit dem Edding, in Hamburg-Blankenese. Endlich begriff ich:
    Das Einzige, was zählt, außer der Liebe - das hatte er uns gewünscht: Gesundheit.

32
    Währenddessen riefen die Kollegen bereits in der Universitätsklinik an, und wir hatten Glück, denn der Chefarzt Professor Breitner saß noch an seinem Schreibtisch. Wir bekamen sofort einen Termin. Es war Freitagnachmittag.
    »Ich möchte jetzt mit Ihnen allein sprechen«, sagte der Chefarzt und schaute Stefan an, nicht mich. »Und zwar nur fünf Minuten. Wir diskutieren nicht, und Sie hören mir einfach nur zu.«
    Uff. Breitner war natürlich mit Aigner bestens bekannt.
    »Ja, aber … ICH bin doch die Medizinerin«, flüsterte ich tonlos. »Stefan besitzt doch gar keine

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