Himmel und Hölle
abschleppen und fuhr mich noch ins Klinikum.
Es war später Nachmittag, als man mir endlich einen Zugang für die Chemo legte. Und während mir das Cisplatin in die Venen tropfte, liefen mir die Tränen nur so über die Wangen.
Ach wie schön muss sich’s ergehen
Dort im ewgen Sonnenschein …
Doch mir wehrt des Stromes Toben
Der ergrimmt dazwischenbraust …
Meine armen Küken!, ging es mir durch den Kopf. Jetzt kommen sie doch nicht raus an die frische Luft. Wir haben keine Winterschuhe und keine Winterreifen. Irgendwie fehlt es an allen Ecken und Enden. Ohne Nicole könnten wir endgültig einpacken.
In diesem Moment ging die Tür auf, und Eleni, meine liebe neue Schminkfreundin vom Kindergeburtstag, stand auf der Matte. Ich hing am Tropf und konnte ihr noch nicht einmal um den Hals fallen.
»Eleni! Leistest du mir Gesellschaft?«
Eleni baute ein Silbertablett mit einer roten Rose vor mir auf. Darauf legte sie eine weiße Leinenserviette und feinstes Besteck.
»Du hast heute bestimmt noch nichts gegessen!?«
»Eleni? Spielen wir hier eine Folge ›Traumschiff‹?«
Eleni lächelte und verschwand wieder auf dem Gang. Mit einem Topf köstlich duftendem, selbst gemachtem Gulasch kam sie wieder herein. Nun schossen mir erst recht die Tränen in die Augen.
Harmonien hör ich klingen
Töne süßer Himmelsruh …
Goldne Früchte seh ich glühen
Winkend zwischen dunklem Laub …
Auf einmal fühlte ich mich wie im Himmel.
Nur ein Wunder kann dich tragen
In das schöne Wunderland …
Seit meinen Kindertagen hatte es mir nicht mehr so gut geschmeckt! Völlig ausgehungert aß ich meinen Teller leer, bis kein Tröpfchen Sauce und kein Krümelchen Fleisch mehr übrig waren.
Dass ich gleich anschließend alles wieder erbrach, nahm Eleni mir nicht übel. Im Gegenteil: Sie hielt den Spucknapf und tupfte mir die Stirn ab.
So war Eleni, und ich werde ihr das nie vergessen.
Als ich später bleich und übel riechend aus der Klinik nach Hause kam, sehnte ich mich nur noch nach einer Dusche, meinem Bett und meiner Ruhe. Gott sei Dank, Stefan war da! Mein Fels in der Brandung.
Allerdings leider nicht allein. Er hatte vier Herren mitgebracht, die bei uns im Wohnzimmer wichtige Unterlagen ausbreiteten und mit Taschenrechnern bewaffnet über einer neuen Gewerbeimmobilie brüteten. Einer von ihnen war ein ganz mächtiger Unternehmer, von dessen Kopfnicken - oder Kopfschütteln - tausend Arbeitnehmer entweder lebten oder stempeln gingen. Familienväter, die Kinder hatten wie wir.
Stefan gab mir ein Zeichen, dass er mich und die Kinder jetzt überhaupt nicht gebrauchen könne.
Nicole hatte frei, es war Samstag. Zitternd vor Erschöpfung schnappte ich mir meine vier Racker und ging mit ihnen zum nächsten Burger King. Er lag neben dem Baumarkt an einer der hässlichsten und trostlosesten aller Ausfallstraßen von Nürnberg. Ich hätte mir wirklich einen romantischeren Ort für unser
familiäres Beisammensein gewünscht. Ich kniff die Lippen zusammen, während wir über ein bräunliches Rasenstück neben der vierspurigen Straße liefen, um den Eingang zu finden. Es regnete in Strömen, ein kalter Nordwind pfiff, die Kinder hatten immer noch keine Winterschuhe, aber irgendwo musste ich diesen Samstagnachmittag verbringen!
Wie nach jeder Chemo war mir hundeelend. Während meine süßen Knirpse sich die Pommes und Hamburger nur so hineinstopften und begeistert mit dem Ketchup auf der Tischplatte herumkleckerten, war mir kotzübel. Ich hing würgend über dem Tisch und konnte noch nicht einmal zur Toilette rennen, um mich zu übergeben. Denn dann hätte ich meine Aufsichtspflicht verletzt.
Alles drehte sich, und ich konnte die schrillen Farben, den Lärm und den Gestank in diesem Etablissement nicht mehr ertragen.
Nach jeder Chemo brauchte mein Körper länger, um sich wieder davon zu erholen. Außerdem wurde ich immer dicker. Das lag am Fortecortin, ein starkes Cortison gegen die Übelkeit, das mich aufgehen ließ wie einen Hefekloß. Ich war noch nie im Leben dick gewesen. Immer, von den Schwangerschaften mal abgesehen, hatte mir Größe 36 gepasst. Und nun platzte ich aus allen Nähten. Das war mir schon klar gewesen, als ich den Beipackzettel dieses Mittels studiert hatte: Wassereinlagerungen im Körper waren an der Tagesordnung. Also setzte ich meine Chemo tapfer fort, allerdings ohne Fortecortin.
Eleni, meine neue treue Freundin, brachte mich die nächsten Male immer zur Chemo, denn mir war so schwindelig und
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